Zur Haftung des Bundes für die Unterlassung von Maßnahmen zur Gefahrenabwehr
Betretungs- und Annäherungsverbote nach § 38a Sicherheitspolizeigesetz dienen dem Schutz des Gefährdeten. Das schuldhafte Unterlassen solcher Anordnungen kann daher Amtshaftungsansprüche begründen.
Wird ein Betretungs- oder Annäherungsverbot nach § 38a Sicherheitspolizeigesetz erlassen, spricht der erste Anschein dafür, dass sich der Gefährder an diese Anordnung hält.
Die Klägerin wurde – nach einer von Eifersucht, Kontrollwahn, Drohungen und körperlicher Gewalt ihr gegenüber geprägten Beziehung zum späteren Täter – in ihrer Wohnung Opfer eines Mordversuchs durch ihren ehemaligen Freund (Täter). Bereits rund zwei Wochen vor der Tat hatte es nach einem wiederholten gewaltsamen Übergriff durch den Täter einen Polizeieinsatz gegeben, im Zuge dessen die Polizeibeamten eine Anzeige wegen fortgesetzter Gewaltausübung und Körperverletzung gegen den Täter aufgenommen, aber weder ein Betretungs- und Annäherungsverbot erlassen noch Kontakt mit der (Journal-)Staatsanwaltschaft aufgenommen hatten.
Die Klägerin begehrt vom Bund aus dem Titel der Amtshaftung Schadenersatz, insbesondere Schmerzengeld, weil die Polizeibeamten gebotene Maßnahmen unterlassen hätten, durch die der Mordversuch an ihr verhindert worden wäre, insbesondere die Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots gegenüber dem Täter und die Kontaktaufnahme mit der Staatsanwaltschaft, um ihr die Anordnung der Festnahme des Täters zu ermöglichen.
Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Der Klägerin sei der Beweis des Kausalzusammenhangs zwischen der Unterlassung der Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots und der Tat nicht gelungen, weil das Erstgericht nicht feststellen konnte, dass der Täter die Tat nicht begangen hätte, hätten die Polizeibeamten diese Maßnahme ergriffen. Der Anscheinsbeweis komme der Klägerin hierfür nicht zugute. Die Berichtspflichten nach § 100 Strafprozessordnung (StPO) würden den Schutz von Opfern allfälliger künftiger Straftaten des Beschuldigten nicht einmal mitbezwecken.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin Folge.
Die Verhängung eines Betretungs- und Annäherungsverbots nach § 38a Absatz 1 Sicherheitspolizeigesetz bezweckt den (vorbeugenden) Schutz potentieller Gewaltopfer. Die Voraussetzungen für eine Anordnung lagen hier auch vor. Die Polizeibeamten wären daher zur Verhängung eines Betretungs- und Annäherungsverbots verpflichtet gewesen. Dass diese an der Pflichtverletzung kein Verschulden träfe, ist nicht erkennbar.
Zu prüfen bleibt daher die Frage der Kausalität zwischen der Unterlassung der Anordnung und dem Schaden der Klägerin. Hierfür kommt ihr eine Beweiserleichterung in Form eines Anscheinsbeweises zu Hilfe. In der gesetzlichen Ausgestaltung der behördlichen Schutzmaßnahme zur Gewaltprävention ist ihr Nutzen bereits „typisiert“. Damit berechtigt aber schon die Existenz der Regelung zur Annahme, dass sich ein Normunterworfener im Regelfall an die auf dieser Grundlage erlassenen – und durch begleitende Kontrollen und Androhung von Konsequenzen bei Missachtung abgesicherten – behördlichen Anordnungen hält. Der erste Anschein spricht hier daher dafür, dass der Täter ein Betretungs- und Annäherungsverbot befolgt hätte.
Da die Vorinstanzen die Negativfeststellung zum hypothetischen Kausalverlauf ohne Berücksichtigung des der Klägerin zuzubilligenden Anscheinsbeweises getroffen haben, waren ihre Entscheidungen zur Verfahrensergänzung aufzuheben.
Zudem wären die einschreitenden Polizeibeamten im vorliegenden Fall zu einer unverzüglichen Kontaktaufnahme mit der Journalstaatsanwaltschaft wegen einer allfälligen Festnahme des Täters verpflichtet gewesen. Auch insofern fehlt es an Feststellungen zum hypothetischen Kausalverlauf, weil die Berichtspflicht nach § 100 Absatz 2 Ziffer 2 StPO die Verhinderung von Schäden an Individualrechtsgütern von potentiellen Opfern mitbezweckt. Außerhalb des Anwendungsbereichs des Anscheinsbeweises kommt der Klägerin das (herabgesetzte) Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zugute.