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Desinformation, unzulässige Namensanmaßung und das Recht auf Meinungsfreiheit durch „Wirtshausbriefe“

 
 

Vom Recht auf Meinungsfreiheit sind bewusste Täuschungen und Verletzungen von Persönlichkeitsrechten nicht gedeckt.

Die zweitbeklagte Partei ist die Herausgeberin eines satirischen Online-Magazins, der Erstbeklagte ihr Geschäftsführer und Chefredakteur. Die Klägerin ist eine politische Partei, die seit einiger Zeit die Forderung nach einer sogenannten „Wirtshausprämie“ erhebt, die dem Gasthaussterben entgegenwirken soll.

Die Redaktion der Zweitbeklagten beschloss, sich mit dieser Thematik satirisch zu befassen, indem 500 Wirte mit einem gefälschten Brief angeschrieben werden; der Brief sollte Empörung bei der Klägerin auslösen und den Weg in die Medien finden. Der Brief ist höchst professionell aufgemacht. Seine Gestaltung ist durch die Verwendung des Bildzeichens, der Daten und Signatur der Klägerin sowie seinen Inhalt stark geprägt. Das Schreiben erinnert (bewusst) an die aktuellen Forderungen der Klägerin und ist daran (wenn auch ironisch) thematisch stark angelehnt. Im Brief findet sich auch die vermeintliche Forderung der Klägerin nach Schaffung eines öffentlich einsehbaren Online-Registers, in das „nicht heimatverbundene Wirtshäuser“ eingetragen werden sollen. Derartiges hat die Klägerin nie vorgeschlagen.

In der Folge kam es bei der Klägerin zu Beschwerden von Wirten. Mitarbeiter der Klägerin waren mit Anrufen, Beschwerden und Abklärungen infolge der „Wirtshausbriefe“ beschäftigt. Wenige Tage danach veröffentlichte die Zweitbeklagte auf ihrer Website einen Artikel über den Brief, in dem sie erklärte, für das Abfassen und Versenden der Briefe verantwortlich zu sein. Auch in weiterer Folge waren die „Wirtshausbriefe“ Gegenstand der öffentlichen Berichterstattung.

Die Klägerin beantragte, den Beklagten ua zu verbieten falsche Schriften im Namen der klagenden Partei und unter Verwendung ihrer Zeichen zu verfassen, zu verbreiten oder zu veröffentlichen. Sie stützte sich dabei auf einen unzulässigen Eingriff in ihr Namensrecht. Das Schreiben sei nicht als Satire erkennbar. Die offenkundige Absicht der Beklagten sei darin gelegen, die Bekanntheit und Reichweite ihres Mediums zu steigern und zugleich die Klägerin in der Öffentlichkeit herabzusetzen.

Die Beklagten wandten zusammengefasst ein, das Schreiben sei als Satire erkennbar und nicht ernst zu nehmen. Da die Öffentlichkeit unmittelbar nach Versand des Schreibens über die wahre Herkunft des Schreibens informiert worden sei, sei kein Schaden für die Klägerin entstanden. Zudem sei eine Abwägung zwischen den Grundrechten vorzunehmen, bei der das Recht auf Kunst- und Meinungsäußerungsfreiheit der Beklagten schwerer wöge als die Interessen der Klägerin.

Die Vorinstanzen verneinten den Unterlassungsanspruch. Sie bejahten eine zulässige Satire. Nach Ansicht des Berufungsgerichts sei davon auszugehen, dass die mit dem Schreiben konfrontierten Gastwirte seinen satirischen Inhalt auch als solchen erkannt hätten. Die Satire der Beklagten sei durch das Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt.

Der von der Klägerin mit Revision angerufene Oberste Gerichtshof gab der Klage statt.

Die Briefe der Beklagten erwecken den Anschein, es handle sich um solche der Klägerin. Es liegt daher eine Täuschung des Publikums und damit eine unzulässige Namensanmaßung vor. Die schutzwürdigen Interessen der Klägerin sind im Anlassfall insbesondere dadurch betroffen, dass ihr (auch) ehrenrührige (und wahrheitswidrig) Absichten unterstellt werden, dass nämlich jene Gastleute, die sich den vermeintlichen Forderungen der Klägerin nicht unterwerfen, „in einem öffentlich einsehbaren Online-Register zur Warnung für Gäste als unpatriotisch“ ausgewiesen, quasi „an den Pranger“ gestellt werden.

Im Anlassfall war die Meinungsäußerungsfreiheit der Beklagten mit den Persönlichkeitsrechten der Klägerin abzuwägen. Der vorliegende (unbestrittene) Eingriff in das Namensrecht der Klägerin könnte allenfalls mit Hinweis auf Satire gerechtfertigt werden. Die Meinungs- und Äußerungsfreiheit des Parodisten kann im Einzelfall nämlich uU höher bewertet werden als die Interessen des in seinen Persönlichkeitsrechten Beeinträchtigten; immer allerdings vorausgesetzt, dass im Einzelfall eine antithematische Behandlung vorliegt und als solche auch vom Publikum verstanden wird.

Dies war im Anlassfall aber zu verneinen. Den verletzten Persönlichkeitsrechten der Klägerin (§ 43 ABGB) steht damit keine zulässige Meinungsäußerung der Beklagten entgegen. Eine Sanktionslosigkeit von Desinformation – hier in Form einer unbefugten Namensanmaßung – würde bedeuten, dass die Meinungsfreiheit auch über den Weg von bewussten Täuschungen und Verletzungen von Persönlichkeitsrechten ausgeübt werden kann. Derartiges ist von der Meinungsfreiheit nicht gedeckt. Den Beklagten ist es allerdings außerhalb der unbefugten Namensanmaßung nicht verwehrt, sich kritisch und/oder ironisch mit den politischen Plänen der Klägerin auseinanderzusetzen.

 

Link zum Volltext im RIS

 
ogh.gv.at | 22.02.2025, 09:02
(https://www.ogh.gv.at/entscheidungen/entscheidungen-ogh/desinformation-unzulaessige-namensanmassung-und-das-recht-auf-meinungsfreiheit-durch-wirtshausbriefe/)

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