Keine gerichtliche Genehmigung für den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen
Für eine gerichtliche Genehmigung des Abbruchs einer lebenserhaltenden medizinischen Behandlung besteht nach geltendem Recht keine Grundlage. Insbesondere scheidet eine analoge Anwendung des § 283 Abs 2 ABGB hierfür aus.
Mit rechtkräftigem Beschluss vom 8. 10. 2009 wurde für die Pflegebefohlene ihr Ehemann zum Sachwalter bestellt und mit der Besorgung aller Angelegenheiten betraut. Die Betroffene leidet an einem apallischen Syndrom nach multiplen zerebralen Aneurysmen. Sie ist rundum auf die Pflege und Versorgung durch fachkundige Personen angewiesen. Sie wird durch eine PEG-Sonde künstlich ernährt. Sowohl die kognitiv/geistigen als auch die körperlichen Defizite werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft bestehen bleiben.
Die Betroffene hatte eine unvollständige Patientenverfügung und eine – von ihr nicht unterschriebene – Patientenverfügung errichtet, mit welchen sie für den Fall schwerer lebenslanger geistiger oder körperlicher Behinderung ohne Heilungsaussicht unter keinen Umständen lebenserhaltenden Maßnahmen unterzogen werden wollte und ua auch künstliche Ernährung ablehnte.
Der Sachwalter stellte beim Pflegschaftsgericht den Antrag, ihn zu ermächtigen, die Einstellung der künstlichen Ernährung der Pflegebefohlenen zu veranlassen. Das Erstgericht bestellte – bestätigt vom Rekursgericht – wegen möglicher Interessenkollision eine Kollisionskuratorin.
Der OGH gab deren Revisionsrekurs Folge und behob die Entscheidungen der Vorinstanzen ersatzlos.
Die Prüfung des Rechtsmittels bedinge auch die Beurteilung des zu Grunde liegenden Antrags. Wegen Unvollständigkeit und mangels Unterfertigung liegen bloß beachtliche Patientenverfügungen im Sinn des § 8 PatVG vor, die anders als die verbindlichen Patientenverfügungen den Arzt nicht unmittelbar binden. Eine gerichtliche Zuständigkeit zur Genehmigung eines Antrags auf Behandlungsabbruch bestehe nicht.
§ 275 ABGB, der normiere, dass der Sachwalter in wichtigen den Pflegebefohlenen betreffenden Angelegenheiten die Genehmigung des Gerichts einzuholen habe, werde durch die speziellere Norm des § 283 Abs 2 ABGB, die aber nur auf die Einleitung schwerwiegender medizinischer Behandlungen und nicht auf deren Abbruch zugeschnitten sei, verdrängt. Eine planwidrige Gesetzeslücke, die durch Analogie zu füllen wäre, bestehe nicht.
Beim Abbruch einer lebenserhaltenden medizinischen Maßnahme handle es sich um den stärkstmöglichen Eingriff in das Grundrecht auf Leben überhaupt. Dem Grundsatz der hinreichenden Bestimmtheit gesetzlicher Tatbestände komme gerade bei eingriffsnahen Gesetzen besondere Bedeutung zu. Ausgehend davon biete die österreichische Rechtsordnung keine Grundlage für richterliche Rechtsfortbildung außerhalb des Gesetzes. Vielmehr haben behandelnder Arzt und Sachwalter unter Beachtung der beachtlichen Patientenverfügungen über die weitere Vorgehensweise konsensual zu entscheiden. Sei nur einer von ihnen für die Lebenserhaltung, habe diese Vorrang. Eine Entscheidungsbefugnis des Gerichts bestehe nicht.