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Zum Schutzzweck der zivilprozessrechtlichen Wiedereinsetzungsnormen

 
 

Wurde einer Prozesspartei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Unrecht bewilligt, kann ihr Prozessgegner nicht mit der Begründung Amtshaftungsansprüche erheben, bei Unterbleiben der Bewilligung wäre es nicht zu seinem Prozessverlust gekommen.

In einem früheren Schadenersatzprozess unterließ der damals klagende Prozessgegner der beklagten Bank die Erhebung einer Berufung gegen die Abweisung seines Hauptbegehrens. In der Folge wurde auch sein Eventualbegehren abgewiesen. Über seinen Antrag wurde ihm schließlich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist bewilligt. Er war in der Hauptsache mit seinem Hauptbegehren erfolgreich.

Die Bank begehrte nun unter Berufung auf Amtshaftung den Ersatz jener Vermögensnachteile, die ihr aufgrund des Prozessverlusts entstanden sind und bei Verweigerung der Wiedereinsetzung nicht entstanden wären; dann wäre es bei ihrem Prozesserfolg geblieben. Die Bewilligung der Wiedereinsetzung sei rechtlich unvertretbar gewesen.

Das Erstgericht wies die Amtshaftungsklage ab, weil seiner Ansicht nach die Bewilligung der Wiedereinsetzung durchaus vertretbar gewesen sei. Das Berufungsgericht sah hingegen die Bewilligung der Wiedereinsetzung im Vorverfahren als unvertretbar an und gab dem Klagebegehren statt.

Der Oberste Gerichtshof stellte im Ergebnis die klageabweisende Entscheidung des Erstgerichts wieder her, allerdings mit anderer Begründung. Danach sind die von der klagenden Bank begehrten Vermögensnachteile durch die Zielrichtung der Wiedereinsetzungsnormen nicht geschützt. Insbesondere wird durch jene gesetzliche Bestimmung, die ein Rechtsmittel gegen die Bewilligung der Wiedereinsetzung ausschließt, kein berechtigtes Interesse einer Partei verletzt und lediglich die materielle Wahrheitsfindung gefördert. Den Prozessparteien ist ein berechtigtes Interesse nur an einer rechtsrichtigen und auf ausreichender Tatsachengrundlage beruhenden Sachentscheidung zuzubilligen. Keine Prozesspartei hat ein Recht darauf, dass eine zu ihren Gunsten ergangene, materiell aber unrichtige Entscheidung aus formellen Gründen aufrecht bleibt. Ein nach der Bewilligung der Wiedereinsetzung ergehendes Urteil kann sie ohnehin bekämpfen, wenn sie dessen inhaltliche Unrichtigkeit behauptet. Ist es hingegen richtig und entspricht es somit der materiellen Rechtslage, ist der unterlegenen Partei kein zu ersetzender Vermögensschaden zugefügt worden.

 
ogh.gv.at | 15.11.2024, 15:11
(https://www.ogh.gv.at/entscheidungen/entscheidungen-ogh/zum-schutzzweck-der-zivilprozessrechtlichen-wiedereinsetzungsnormen/)

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