Kuhattacke auf der Alm: Haftung des Landwirts und Mitverschulden des Wanderers
Im Almgebiet müssen Weideflächen im Allgemeinen nicht abgezäunt oder eingefriedet werden. Bei besonderen und örtlich eingegrenzten Gefahren sind auch im Almgebiet die Anforderungen an die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung von Tieren erhöht und zumutbare zusätzliche Sicherungsmaßnahmen zu fordern. Entsprechende Warnschilder aufzustellen reicht dabei nicht generell aus, im Einzelfall müssen auch Wanderwege abgezäunt werden.
Einen Wanderer, der sich mit seinem angeleinten Hund den Tieren einer Herde auf ein bis zwei Meter näherte, obwohl er mit einem Schild gerade davor gewarnt worden war, und die Leine noch dazu so führte, dass er sich vom Hund nicht jederzeit lösen kann, trifft ein Mitverschulden an den Verletzungen, die er durch eine Kuhattacke erlitt.
Gegenstand des Verfahrens waren die Schadenersatzansprüche der Hinterbliebenen einer Wanderin, die am 28.7.2014 von der Rinderherde des Beklagten attackiert und getötet wurde. Auf dieses Ereignis war die mit dem Haftungsrechts-Änderungsgesetz 2019 normierte Sonderbestimmung für die Halter in der Alm- und Weidewirtschaft noch nicht anzuwenden.
Das Erstgericht ging angesichts der konkreten Umstände des hier zu beurteilenden Falls dem Grunde nach von der ungeteilten Haftung des beklagten Landwirts aus. Auch das Berufungsgericht bejahte die Haftung des Beklagten, den Klägern sei aber das gleichteilige Mitverschulden der Verstorbenen zuzurechnen.
Der Oberste Gerichtshof billigte diese Schadensteilung des Berufungsgerichts. Eine Haftung des Tierhalters tritt nach § 1320 ABGB ein, wenn er die nach den Umständen gebotenen Vorkehrungen zur Verwahrung oder Beaufsichtigung des Tieres unterlässt. Welche Maßnahmen dabei im Einzelnen notwendig sind, richtet sich nach den dem Tierhalter bekannten oder erkennbaren Eigenschaften des Tieres und den jeweiligen Umständen. Maßgeblich sind die Gefährlichkeit des Tieres, die Möglichkeit der Schädigung durch das spezifische Tierverhalten und eine Abwägung der betroffenen Interessen. Je größer die Gefährlichkeit des Tieres, desto größere Sorgfalt ist aufzuwenden. Es ist dabei nicht nur das bisherige Verhalten des Tieres, sondern auch die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit einer Schadenszufügung durch das Tier zu prüfen. Je größer diese Schadensmöglichkeit ist, umso strengere Anforderungen müssen gestellt werden. Dabei spielt es eine wesentliche Rolle, in welchen besonderen Verhältnissen sich das Tier befindet, insbesondere ob es mit vielen Menschen in Kontakt kommen kann. Gefährdet ein Tier die körperliche Unversehrtheit von Menschen, dem anerkannt höchsten Gut, ist etwa die Verwahrung durch Einzäunen zumutbar und beeinträchtigt keine gravierenden Interessen, die jedenfalls in keinem Verhältnis zu der andernfalls bestehenden Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit von Menschen stehen.
Zur Tierhalterhaftung in der Alm- und Weidewirtschaft hat der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgeführt, dass grundsätzlich keine Verpflichtung besteht, einen Weg, der durch ein Weidegebiet führt, durch Zäune vom Weidegebiet abzugrenzen. Diese Rechtsprechung beruht auf der Prämisse, dass Kühe im Allgemeinen keine Gefahr für den Menschen sind. Besondere Umstände können aber im Einzelfall zu einer Anhebung der Sorgfaltsanforderungen führen. Hier wäre es objektiv geboten gewesen, der von den Mutterkühen für Wanderer mit einem Hund ausgehenden Gefahr nicht bloß durch Warnschilder zu begegnen, sondern im näheren Unfallbereich durch Errichtung eines Weidezauns Menschen und Tiere zu trennen. Die Mutterkühe des Beklagten hatten im Unterschied zu „reinem Milchvieh“ einen stärker ausgeprägten Mutterinstinkt und reagierten bei einer Annäherung von Menschen und/oder Tieren an ihre Kälber vergleichsweise früh und aggressiv. Dem Beklagten war nicht nur dieser Umstand bewusst, ihm war vor allem auch schon vor dem Vorfall am 28.7.2014 bekannt, dass seine Mutterkühe in diesem Jahr dann, wenn sich Hunde in der Nähe befanden, besonders unruhig und aggressiv waren. Zu dieser relativen Gefährlichkeit der Tiere kam die erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Schädigung im Bereich des Unfallorts bei den Almgebäuden und dem Gasthaus, wo sich Kühe und Wanderer im Vergleich zu anderen Bereichen des Weidegebiets am häufigsten aufhielten oder bewegten. Da Wanderer nicht selten Hunde mitführten, bedingte diese hohe Frequenz dort häufige Begegnungen von Wanderern samt Hunden und den Kühen des Beklagten. Aus landwirtschaftlich-fachlicher Sicht ist es sinnvoll, Wege in derart stark frequentierten Bereichen einzuzäunen. Schon vor dem hier zu beurteilenden Angriff gab es auf der Alm des Beklagten zwei ähnliche Vorfälle. Diese Angriffe hätten nicht stattgefunden, wenn sich im Bereich der Unfallstelle entlang der Straße ein zweigliedriger Elektrozaun befunden hätte. Das Aufstellen von Zäunen ist im Zusammenhang mit (anderen) Erfordernissen der Almwirtschaft nicht ungewöhnlich, ein Elektrozaun in diesem Bereich des Weidegebiets beeinträchtigt den Betrieb auch nicht. Der dafür notwendige Aufwand (218,80 EUR für Material und zwei Arbeitstage im Jahr) ist zumutbar und belastet die im allgemeinen Interesse liegende Beweidung von Almflächen nicht unbillig.
Auch die Annahme eines gleichteiligen Mitverschuldens der Verstorbenen hält sich im Rahmen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Die Wanderin ging mit ihrem Hund an der Herde des Beklagten in einem Abstand von 1 bis 2 m (zu der am nächsten stehenden Kuh) vorbei. Den Hund führte sie mit einer Leine, die sie um ihre Hüfte geschlungen und mit einem Karabiner so fixiert hatte, dass es ihr nach Beginn des Angriffs nicht mehr möglich war, diese zu lösen. Als Hundehalterin hätte sie schon grundsätzlich über die mit dem Halten von Hunden typischerweise ausgehenden Gefahren Bescheid wissen und sich dementsprechend verhalten müssen. Überdies machten auch die vom Beklagten angebrachten Warnschilder auf die von einem Zusammentreffen von Hunden und seinen Mutterkühen ausgehende Gefahr aufmerksam. Der Umstand, dass sie entgegen der Warnung (Achten auf Distanz) die Herde in geringem Abstand passierte und die Leine so führte, dass sie sich von ihrem Hund (das primäre Angriffsziel der Kühe) nicht rechtzeitig lösen konnte, ist daher als eine beachtliche Sorglosigkeit zu werten.