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Heimaufenthaltsrecht: Verwendung einer Pflegedecke auf einer Intensivstation

 
 

Es liegt keine freiheitsbeschränkende Maßnahme im Sinn des § 3 HeimAufG vor, wenn eine Pflegedecke (Zewi-Decke) auf einer Intensivstation zur Behandlung eines durch die Intensivbehandlung – und nicht durch die psychische Grunderkrankung – ausgelösten Delirs angewendet wird.

Der Bewohner leidet an einer katatonen Schizophrenie und wird in einer Einrichtung betreut. Er erkrankte an einer komplizierten Lungenentzündung, die eine intensivmedizinische Behandlung in einer Krankenanstalt notwendig machte. Dabei entwickelte er ein Delir – eine häufige Erkrankung von Intensivpatienten, die auch psychisch nicht vorerkrankte Patienten erleiden. Aufgrund des Delirs versuchte der Bewohner mehrfach die Sauerstoffbrille abzustreifen und den zentralen Venenkatheter zu ziehen, weshalb unter anderem eine Pflegedecke (Zewi-Decke) zur Anwendung kam. Diese ist im Oberkörperbereich ähnlich einem Gilet geschnitten – Arme sowie Hände sind frei – und hat zwei Schulterreißverschlüsse mit je 20 cm und einen langen Reißverschluss mit ca 175 cm, der mittig von oben nach unten verläuft. Dieser Reißverschluss kann nur mit einer starken Rumpfbeugung erreicht und geöffnet werden. Die Zewi-Decke ist wie ein Spannleintuch über die Matratze gezogen. Sie lässt sich, wenn der Patient aufsitzt, an den Schultern leicht öffnen. Dann kann man die Decke nach unten schieben und heraussteigen. Im konkreten Fall wurde die Zewi-Decke verwendet, um dem Bewohner ein Entfernen der Zugänge zu erschweren bzw dem Pflegepersonal mehr Zeit zu verschaffen, um zu ihm zu kommen und ein Entfernen der Zugänge zu verhindern.

Der Verein beantragte, die Anwendung der Pflegedecke auf der Intensivstation mangels Dokumentation und Meldung für unzulässig zu erklären.

Der Oberste Gerichtshof kam zum Ergebnis, dass das HeimAufG auch auf freiheitsbeschränkende Maßnahmen psychisch kranker oder geistig behinderter Personen auf Intensivstationen anzuwenden ist, weil sich eine Einschränkung des Anwendungsbereichs auf bestimmte Arten von Spitalsabteilungen aus dem Gesetz nicht ergibt. Allerdings liegt keine freiheitsbeschränkende Maßnahme vor, weil das Anlegen der Zewi-Pflegedecke nicht wegen der psychischen Grunderkrankung des Bewohners, sondern wegen der medizinischen Behandlung der Lungenentzündung und des durch die Intensivbehandlung aufgetretenen Delirs erforderlich war. Die Pflegedecke diente nur dazu, das Entfernen der Zugänge, die zur Behandlung der Lungenentzündung und des Delirs notwendig waren, durch den Bewohner zu verhindern. Die Anwendung der Pflegedecke erfolgte somit ausschließlich im Rahmen der allgemeinen Heilbehandlung wie sie jedermann zuteil wird, und nicht zur Abwehr von Selbst- oder Fremdgefährdung im Zusammenhang mit der psychischen Erkrankung des Bewohners.

Zum Volltext im RIS.

 
ogh.gv.at | 15.11.2024, 14:11
(https://www.ogh.gv.at/entscheidungen/entscheidungen-ogh/heimaufenthaltsrecht-verwendung-einer-pflegedecke-auf-einer-intensivstation/)

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