Abwägung zwischen Resozialisierungsinteresse und Bericht über Neonazi-Aktivitäten
Das Spannungsverhältnis zwischen Persönlichkeitsinteressen des Einzelnen und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit sowie der Meinungs- und Pressefreiheit sowie der Freiheit der Wissenschaft ist im Wege einer umfassenden Interessenabwägung zu lösen. Im Rahmen der politischen Debatte kann auch über schon länger zurückliegende extremistische (hier: neonazistische) Aktivitäten berichtet werden, sofern ein entsprechender Anlass (hier: Präsidentschaftswahlkampf) besteht.
Der Fall betrifft ein Buch, das sich mit der Rolle rechtsextremer Burschenschaften innerhalb der F***** sowie mit engen Verbindungen des ehemaligen Bundespräsidentschaftskandidaten N***** und von H***** mit diesen Burschenschaften befasst. Darin wird der Kläger mit vollem Namen unter anderem als „einer der damals radikalsten Führer der Neonazi-Szene und Aktivisten der gewaltbereitesten Gruppierungen Österreichs“ bezeichnet. Außerdem werden seine rechtsextremen Aktivitäten in den 1990er Jahren im Zusammenhang mit G*****, Ge***** und der V***** beschrieben.
Der Kläger begehrt Unterlassung und Widerruf dieser Behauptungen.
Der Oberste Gerichtshof wies das Klagebegehren (ausgenommen hinsichtlich einer unrichtigen Behauptung) ab.
Im vorliegenden Fall sind nicht nur die Persönlichkeitsinteressen des Klägers, und zwar konkret das Rechtsgut der Ehre bzw das Recht auf Namensanonymität und Achtung der Privatsphäre berührt, sondern auch das Informationsinteresse der Öffentlichkeit sowie die Meinungs- und Pressefreiheit sowie die Freiheit der Wissenschaft. Das Spannungsverhältnis zwischen den betroffenen Rechten ist im Wege einer umfassenden Interessenabwägung zu lösen. Zwar gewinnt mit zeitlicher Distanz zur Tat das Interesse des Täters, von einer Reaktualisierung seiner Verfehlung verschont zu bleiben, zunehmende Bedeutung. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht vermittelt jedoch keinen Anspruch darauf, in der Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr mit der Tat konfrontiert zu werden. Das Resozialisierungsinteresse bedeutet auch nicht, dass Tat und Täter nicht Gegenstand historischen Interesses oder wissenschaftlicher Analyse werden dürfen. Für die Abwägung kommt es neben der Art und Weise der Darstellung auch auf Natur und Schwere der Tat und die Person des Täters an, sowie darauf, wie lange die Tat bereits zurückliegt und ob ein aktueller Anlass für die Berichterstattung besteht. Bei der Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts ist zweifellos das allgemein politische Interesse betroffen. Zudem bestand mit dem im Jahr 2017 stattfindenden Präsidentschaftswahlkampf ein konkreter Anlass, sich mit den Zusammenhängen der Lebensgeschichte des Klägers und dem Führungspersonal der F***** auseinanderzusetzen.