Ärztliche Aufklärungspflicht über Behandlungsalternative
Lehnt der Patient eine vorgeschlagene Behandlung ab und schlägt der Arzt erst deshalb eine andere Diagnose- oder Behandlungsmöglichkeit vor, so führt das nicht dazu, dass die Anforderungen an die Gegenüberstellung der Vor- und Nachteile beider Vorgangsweisen herabgesetzt wären.
Die an Diabetes Typ II erkrankte Mutter der Klägerin suchte in der 31. Schwangerschaftswoche die von der Beklagten betriebene Krankenanstalt zu einer Routinekontrolle auf. Dabei wurde ein erhöhter Blutzuckerspiegel der Mutter erkannt und ein stationärer Aufenthalt zur „Einstellung“ ihrer Zuckerwerte vorgeschlagen. Dies lehnte die Mutter ab. Daraufhin wurde ihr die Durchführung einer Amniozentese (Fruchtwasserpunktion) zur Feststellung, ob die ungeborene Klägerin durch den erhöhten Blutzuckerspiegel der Mutter betroffen sei, vorgeschlagen. Für den Fall, dass der kindliche Stoffwechsel nicht beeinflusst sei, wurde der Mutter in Aussicht gestellt, das „Insulinspritzen“ absetzen zu können, obwohl eine Insulintherapie weiter angezeigt gewesen wäre. Die Mutter wurde über das Risiko einer durch den Eingriff ausgelösten Frühgeburt aufgeklärt. Der Eingriff wurde unmittelbar danach lege artis durchgeführt. Dabei traten Komplikationen auf, die zu einer Frühgeburt führten. Die Klägerin ist deshalb schwer behindert.
Das Berufungsgericht bejahte die Haftung des Krankenanstaltenträgers. Der Mutter sei nicht sachlich dargestellt worden, dass sie die Wahl zwischen einer faktisch risikolosen stationären Einstellung ihrer Blutzuckerwerte und dem risikobehafteten invasiven Diagnoseeingriff habe, durch den ihre Blutzuckerwerte nicht hätten verbessert werden können. Darüber hinaus hätte ihr angesichts der mangelnden Dringlichkeit ermöglicht werden müssen, ihre Entscheidung zu „überschlafen“.
Der Oberste Gerichtshof billigte diese Entscheidung. Er bestätigte den Grundsatz, dass bei Bestehen einer Wahlmöglichkeit des Patienten zwischen mehreren zur Verfügung stehenden diagnostisch oder therapeutisch adäquaten Verfahren der Arzt den Patienten über die Alternativen informieren und das Für und Wider mit ihm abwägen muss. Eine Gegenüberstellung der Risiken und Erfolgsaussichten ist auch dann erforderlich, wenn die Behandlungsalternative erst nach Ablehnung der ursprünglich empfohlenen Vorgangsweise vorgeschlagen wird. Das gravierende, wenn auch nur mit geringer Wahrscheinlichkeit gegebene Risiko einer Fehlgeburt macht im konkreten Fall die Forderung nach einer längeren Überlegungsfrist vertretbar.