Anspruch auf Aktenkopie
Es ist Aufgabe der Justizverwaltung, die Gerichte personell so auszustatten, dass sie ihren gesetzlichen Pflichten entsprechen können.
Eine Verfahrenspartei beantragte eine Aktenabschrift (Aktenkopie) bestimmter Bände des vielbändigen Aktes.
Das Erstgericht wies den Antrag ab.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Nach § 89i Abs 1 GOG bestehe der Anspruch auf Erhalt von Aktenablichtungen nur „nach Maßgabe der vorhandenen technischen Möglichkeiten“. Das Bundesministerium für Justiz habe in einem Erlass dazu erläutert, dass die Einschätzung der technischen Möglichkeiten auch die personellen Ressourcen einschließe. Im Hinblick auf die bestehende Personalknappheit liege es außerhalb der technischen Möglichkeiten des Erstgerichts, dem Antrag auf Erstellung von Aktenkopien ganzer Aktenbände zu entsprechen.
Der Oberste Gerichtshof änderte die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin ab, dass der Antrag auf Aktenkopie bewilligt wird. Er führte unter anderem aus:
Gemäß § 219 Abs 1 ZPO können die Parteien in sämtliche ihre Rechtssache betreffenden, bei Gericht befindlichen Akten (Prozessakten) mit Ausnahme der Entwürfe zu Urteilen und Beschlüssen, der Protokolle über Beratungen und Abstimmungen des Gerichts und solcher Schriftstücke, welche Disziplinarverfügungen enthalten, sowie anderer kraft ausdrücklicher Anordnung der Akteneinsicht entzogener Aktenstücke Einsicht nehmen und sich davon auf ihre Kosten Abschriften (Kopien) und Auszüge (Ausdrucke) erteilen lassen.
Das durch Art 6 EMRK geschützte Grundrecht des fair trial macht für die am Verfahren Beteiligten eine generelle Verweigerung des Rechts auf Akteneinsicht und Entnahme von Aktenabschriften, die für die wirksame Rechtsdurchsetzung, insbesondere für die Erhebung von Rechtsmitteln unerlässlich sind, unzulässig. Beschränkungen dieses Rechts sind nur in sehr geringem Umfang möglich und bedürfen einer besonderen gesetzlichen Regelung.
Eine besondere Vorschrift besteht hier insofern, als nach § 89i Abs 1 GOG die Parteien, soweit ihnen ein Recht auf Akteneinsicht zusteht, (nur) „nach Maßgabe der vorhandenen technischen Möglichkeiten Anspruch darauf [haben], Ablichtungen der ihre Sache betreffenden Akten und Aktenteile zu erhalten“. Zwar hat das Bundesministerium für Justiz in seinem Erlass vom 23. 1. 1997 dazu die Ansicht vertreten, die Einschätzung der technischen Möglichkeiten schließe auch die personellen Ressourcen ein. Ein solcher Ministerialerlass ist aber keine für die Gerichte bindende Rechtsquelle. Die im Erlass vertretene Rechtsansicht des Ministeriums vermag auch inhaltlich nicht zu überzeugen. Das GOG verweist in verschiedenen Bestimmungen auf die „technischen und personellen Möglichkeiten“, in anderen nur auf die technischen Möglichkeiten. Es ist jeweils von einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers auszugehen, weshalb sich verbietet, die personellen als von den technischen Möglichkeiten miterfasst zu betrachten.
Auch hat der VwGH bereits zu der § 89i Abs 1 GOG parallelen Bestimmung des § 17 Abs 1 AVG judiziert, dass die gesetzliche Wendung „nach Maßgabe der vorhandenen technischen Möglichkeiten“ kein Ermessen der Behörde über die Frage, ob Kopien angefertigt werden sollen oder nicht, normiere. Es werde damit – so der VwGH – „einzig die Voraussetzung der technischen Machbarkeit normiert, kurz gesagt: besitzt die Behörde einen Kopierer, der funktionstüchtig ist, hat die einsichtnehmende Partei einen Rechtsanspruch darauf, dass Kopien der Aktenteile (auf ihre Kosten) angefertigt werden“ (VwGH 2001/07/0149). Der Senat sieht keinen Grund, warum für § 89i Abs 1 GOG anderes gelten sollte.
Entgegen der Ansicht des Rekursgerichts ist damit eine personell angespannte Lage innerhalb der Gerichte keine Rechtfertigung dafür, einer Partei ihren Anspruch auf eine Aktenkopie zu verweigern. Es ist Aufgabe der Justizverwaltung, die Gerichte personell so auszustatten, dass sie ihren gesetzlichen Pflichten – hier: Anfertigung und Übermittlung einer Aktenkopie – entsprechen können.
Dass die technischen Voraussetzungen für die Erstellung von Aktenkopien beim Erstgericht vorhanden sind, steht außer Zweifel.