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Begehung im Familienkreis (§ 166 StGB) und Erbunwürdigkeit (§ 539 ABGB)

 
 

Auch im Anwendungsbereich des ErbRÄG 2015 ist bei Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung gegen den Erblasser die Privilegierung des § 166 StGB zu beachten. Im Fall der Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung gegen die Verlassenschaft ist § 539 ABGB zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen teleologisch dahin zu reduzieren, dass Erbunwürdigkeit nur dann eintritt, wenn auch die Tatbegehung zum unmittelbaren Nachteil des Erblassers unter Beachtung des § 166 StGB zu Erbunwürdigkeit führen würde.

Die Klägerin begehrte von den Erben nach ihrem verstorbenen Lebensgefährten ein für sie ausgesetztes Vermächtnis. Die Beklagten wandten die Erbunwürdigkeit der Klägerin wegen eines gegen die Verlassenschaft begangenen schweren Vermögensdelikts ein.

Die Vorinstanzen wiesen die Vermächtnisklage wegen Erbunwürdigkeit der Klägerin ab. Die Privilegierung des § 166 StGB komme bei einer strafbaren Handlung gegen die Verlassenschaft nicht zur Anwendung.

Der Oberste Gerichtshof änderte die Entscheidung in eine Klagsstattgebung ab, weil auch im Zusammenhang mit einer strafbaren Handlung gegen die Verlassenschaft gemäß § 539 ABGB idF des ErbRÄG 2015 die Privilegierung des § 166 StGB mitzubedenken ist.

Nach § 539 ABGB ist erbunwürdig, wer gegen den Verstorbenen oder die Verlassenschaft eine gerichtlich strafbare Handlung begangen hat, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist. Der Gesetzgeber knüpft damit in § 539 ABGB eine zivilrechtliche Rechtsfolge an das Vorliegen einer „strafbaren Handlung“ mit einer gewissen Mindeststrafdrohung an – dieser Begriff ist aus systematischen Gründen (im Regelfall) im Sinn der strafrechtlichen Rechtsprechung zu verstehen. Nach § 166 StGB (Begehung im Familienkreis) sinkt die Strafdrohung bei Begehung von verschiedenen Vermögensdelikten zum Nachteil naher Angehöriger unter diese Mindeststrafdrohung. Die strafrechtliche Rechtsprechung bringt bei Tatbegehung zum Nachteil der Verlassenschaft – anders als bei Tatbegehung zum Nachteil des Erblassers selbst – das Angehörigenprivileg nach § 166 StGB nicht zur Anwendung. Das würde bedeuten, dass ein Vermögensdelikt, das gegen den Erblasser selbst begangen wird, nicht zur Erbunwürdigkeit führt, das gleiche Delikt, das gegen die Verlassenschaft begangen wird, hingegen schon.

Dieses Ergebnis birgt aber massive und damit verfassungsrechtlich nicht unbedenkliche Wertungswidersprüche in sich. Eine unmittelbar zum Nachteil des Erblassers ausgeführte Tat darf nicht „weniger erbunwürdig“ machen als eine ganz vergleichbare Tat gegen die Verlassenschaft.

Nach ausführlicher Auseinandersetzung mit den in der Literatur zur Auflösung dieses Wertungswiderspruchs vorgeschlagenen Lösungsansätzen kommt der Oberste Gerichtshof zum Schluss: § 539 ABGB ist teleologisch dahin zu reduzieren, dass Straftaten gegen die Verlassenschaft nur dann zur Erbunwürdigkeit führen, wenn sie auch bei unmittelbarer Begehung zum Nachteil des Erblassers – und damit unter Anwendung des § 166 StGB – zu einer solchen geführt hätten.

Zum Volltext im RIS.

 
ogh.gv.at | 15.11.2024, 13:11
(https://www.ogh.gv.at/entscheidungen/entscheidungen-ogh/begehung-im-familienkreis-%c2%a7-166-stgb-und-erbunwuerdigkeit-%c2%a7-539-abgb/)

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