Berücksichtigung von Schenkungen bei der Ermittlung des Pflichtteils
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Der Oberste Gerichtshof hält an der Vermögensopfertheorie fest.
Bei der Bemessung des Pflichtteils sind nach § 785 ABGB grundsätzlich auch Schenkungen zu berücksichtigen, die der Verstorbene vor seinem Tod gemacht hat. Der Wert dieser Schenkungen wird der Verlassenschaft hinzugerechnet und erhöht so die Bemessungsgrundlage für den Pflichtteil. Reicht die Verlassenschaft zur Deckung des erhöhten Pflichtteils nicht aus, kann der Pflichtteilsberechtigte auch vom Beschenkten Zahlung verlangen. Während Schenkungen an Pflichtteilsberechtigte zeitlich unbeschränkt hinzuzurechnen sind, sind Schenkungen an nicht pflichtteilsberechtigte Personen nur dann zu berücksichtigen, wenn sie der Erblasser innerhalb der letzten zwei Jahre vor seinem Tod „gemacht“ hatte.
Der Oberste Gerichtshof hatte bereits 2014 entschieden, dass eine Schenkung erst dann „gemacht“ ist, wenn der Schenker tatsächlich ein „Vermögensopfer“ erbracht hat (2 Ob 39/14w). Das wurde im konkreten Fall verneint, weil sich der Geschenkgeber ein Fruchtgenussrecht vorbehalten hatte und der Beschenkte die geschenkte Liegenschaft zu Lebzeiten des Geschenkgebers weder veräußern noch belasten durfte. Daher war die Schenkung bei der Berechnung des Pflichtteils zu berücksichtigen, obwohl der Schenkungsvertrag mehr als zwei Jahre vor dem Tod geschlossen worden war.
In seiner neuen Entscheidung hielt der Oberste Gerichtshof an dieser Auffassung fest, präzisierte sie jedoch in zwei Punkten: Einerseits steht nur ein Fruchtgenussrecht an der gesamten Liegenschaft der Annahme eines Vermögensopfers entgegen. Behält sich der Geschenkgeber nur ein anderes Nutzungsrecht (etwa ein Wohnrecht) vor, so ist die Schenkung schon bei Abschluss des Schenkungsvertrags als „gemacht“ anzusehen. Andererseits ist unerheblich, ob im Schenkungsvertrag auch ein Belastungs- und Veräußerungsverbot vorgesehen ist oder nicht. Im Ergebnis ist die Zweijahresfrist daher nur dann unanwendbar, wenn im Schenkungsvertrag vorgesehen ist, dass dem Geschenkgeber ein Fruchtgenussrecht an der gesamten Liegenschaft verbleibt.
Im konkreten Fall hatte der Erblasser acht Jahre vor seinem Tod seinem Neffen – also einer nicht pflichtteilsberechtigten Person – eine Liegenschaft mit einem Wohnhaus geschenkt. Er hatte sich zwar ein Wohnrecht vorbehalten, aber kein Fruchtgenussrecht. Damit war die Schenkung aber bereits mehr als zwei Jahre vor dem Tod „gemacht“ und bei der Bemessung des Pflichtteils nicht zu berücksichtigen. Die gegen den Beschenkten gerichtete Klage eines pflichtteilsberechtigten Nachkommen musste daher scheitern.