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Beweislast bei verspäteter Einlieferung ins Spital

 
 

Unterließ der Rettungsdienst rechtswidrig und schuldhaft den rechtzeitigen Transport einer Schlaganfallpatientin in das Krankenhaus, besteht dennoch keine Haftung für die aus dem Schlaganfall weiter resultierenden Gesundheitsschäden, wenn nicht festgestellt werden kann, ob bei rechtzeitiger Einlieferung die einzig mögliche, aber von einer Risiko-Nutzen-Abwägung verschiedensten Faktoren abhängige Behandlung des Schlaganfalls durchgeführt worden wäre.

Nach einem Notruf um 2:00 traf eine Rettung mit Sanitätern bei der Wohnung der Klägerin ein. Die Sanitäter unterließen rechtswidrig und schuldhaft einen aufgrund des von der Klägerin erlittenen Schlaganfalls gebotenen Transport in ein Krankenhaus. Die Klägerin wurde erst gegen 8:00 Uhr morgens ins Spital gebracht. Wäre dies schon gegen 2:00 Uhr nachts geschehen, hätte sich ihr Zustand nur dann gebessert, wenn im Zeitraum von 4,5 Stunden nach dem Schlaganfall eine bestimmte Therapie durchgeführt worden wäre. Rein statistisch gibt es bei einem von vier Patienten Erfolgsaussichten, wenn man dieses Zeitfenster einhält. Im Idealfall kann es durch diese Behandlung zu einer vollständigen Heilung kommen, sie kann aber auch letal sein.

Eine solche Behandlung hätte zum Zeitpunkt der Akuterkrankung der Klägerin unter Berücksichtigung ihrer Vorerkrankungen und ihres Gesundheitszustandes leitliniengemäß (allenfalls) in einer Risiko‑Nutzen‑Abwägung erwogen werden können. Auch wenn eine absolute Kontraindikation nicht vorlag, war eine solche Behandlung bei einer Patientin wie der Klägerin aber keine Selbstverständlichkeit, sondern wäre allenfalls eine individuelle Therapieentscheidung des diensthabenden behandelnden Arztes gewesen.

Nicht festgestellt werden kann, ob die Behandlung bei rechtzeitiger Einlieferung der Klägerin ins Spital durchgeführt worden wäre und ob bei deren Durchführung neurologische Defizite der Klägerin vermieden hätte werden können.

Die Klägerin begehrte Schmerzengeld und die Feststellung der Haftung der Beklagten für zukünftige Schäden. Der beklagte Rettungsdienst wendete ein, dass das Verhalten ihrer Mitarbeiter nicht kausal für den Schaden der Klägerin war.

Das Vorinstanzen gaben der Klage statt.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten Folge und wies die Klage mit folgender Begründung ab:

Der Klägerin ist der Nachweis, dass ihre aus dem Schlaganfall resultierenden Folgen bei sofortiger Einlieferung in ein Spital hätten verhindert werden können, nicht gelungen. Da es sich bei dem den Rettungssanitätern vorgeworfenen schädigenden Verhalten um eine Unterlassung handelt (Nichteinlieferung in ein Spital), stellt sich die Frage des rechtmäßigen Alternativverhaltens nicht. Vielmehr liegt die Beweislast für den Kausalzusammenhang zwischen der Unterlassung und dem Schadenseintritt bei der Klägerin.

Der Klägerin ist zwar der Nachweis gelungen, dass bei einer früheren Einlieferung die Möglichkeit einer erfolgreichen Behandlung bestanden hätte, jedoch nicht, dass diese Behandlung tatsächlich durchgeführt worden wäre oder lege artis hätte durchgeführt werden müssen. Da diese Behandlung im Jahr 2013 abhängig von unterschiedlichen Kriterien auf Basis einer jeweils individuellen Entscheidung des behandelnden Arztes erfolgte, kann auch nicht von einem typischen Geschehensablauf im Sinn eines Anscheinsbeweises ausgegangen werden. Insoweit kommt es auch nicht darauf an, ob das schädigende Verhalten als Schutzgesetzverletzung zu qualifizieren ist.

Zum Volltext im RIS:

 
ogh.gv.at | 23.11.2024, 14:11
(https://www.ogh.gv.at/entscheidungen/entscheidungen-ogh/beweislast-bei-verspaeteter-einlieferung-ins-spital/)

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