Der beschenkte Enkel als Hinzu- und Anrechnungsberechtigter
Der Oberste Gerichtshof bejaht eine analoge Anwendung des § 783 Abs 1 Satz 2 ABGB auf alle nach § 789 ABGB in Anspruch genommenen Geschenknehmer.
Der 2020 verstorbene Erblasser schenkte dem Beklagten, seinem Enkelsohn, im Jahr 2015 eine Liegenschaft. Die Klägerin ist die pflichtteilsberechtigte Tochter des Erblassers. Ihr räumte der Erblasser 1994 schenkungsweise ein Wohnrecht an einem Einfamilienhaus ein. Die überschuldete Verlassenschaft wurde der Witwe an Zahlungs statt überlassen.
Die Klägerin nimmt den Beklagten (ihren Sohn) als vom Erblasser Beschenkten gemäß § 789 ABGB in Anspruch und fordert die Zahlung von 60.000 EUR, was einem Sechstel des von ihr angenommenen Werts der Liegenschaft entspricht.
Der Beklagte wendet ein, dass auch der Wert der der Klägerin gemachten Schenkung hinzu- und anzurechnen sei.
Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab und nahmen an, dass der nur abstrakt pflichtteilsberechtigte Beklagte in analoger Anwendung des § 783 ABGB die Hinzu- und Anrechnung der der Klägerin gemachten Schenkung begehren kann.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge und bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen.
§ 783 ABGB regelt, wer die Hinzu- und Anrechnung einer Schenkung an eine (zumindest abstrakt) pflichtteilsberechtigte Person begehren kann. Nach dem Wortlaut des Gesetzes kommt die Berechtigung zur Erhebung eines solchen Begehrens dem (konkret) Pflichtteilsberechtigten und dem Erben (§ 783 Abs 1 Satz 1 ABGB), dem abstrakt pflichtteilsberechtigten Geschenknehmer, der deswegen nicht konkret pflichtteilsberechtigt ist, weil er auf seinen Pflichtteil verzichtet oder die Erbschaft ausgeschlagen hat (§ 783 Abs 1 Satz 2 ABGB), und dem Vermächtnisnehmer, der zur Pflichtteilserfüllung beizutragen hat oder einen verhältnismäßigen Abzug erleidet (§ 783 Abs 2 ABGB), zu.
Nach Darstellung des Meinungsstands in der Literatur bejahte der Oberste Gerichtshof die analoge Anwendung des § 783 Abs 1 Satz 2 ABGB auf alle Fälle, in denen ein Geschenknehmer nach § 789 ABGB in Anspruch genommen wird und formulierte folgenden Rechtssatz:
Nimmt ein konkret Pflichtteilsberechtigter einen vom Wortlaut des § 783 Abs 1 Satz 2 ABGB nicht erfassten Geschenknehmer wegen nicht ausreichender Verlassenschaft nach §§ 789 ff ABGB in Anspruch, dann ist der auf diese Weise belangte Beschenkte in analoger Anwendung des § 783 Abs 1 Satz 2 ABGB ebenfalls zur Erhebung eines Hinzu- und Anrechnungsbegehrens legitimiert, kann also gegen den Pflichtteilskläger einwenden, dass sich dieser selbst eine andere Schenkung anrechnen lassen muss.