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Die Schenkungsabsicht im Pflichtteilsrecht

 
 

Der Oberste Gerichtshof nimmt zur Frage der Gewährung einer Beweiserleichterung für den Pflichtteilskläger Stellung.

Der 2020 verstorbene Erblasser hinterließ eine Ehefrau und drei Kinder. Mit Übergabevertrag aus 1997 übergaben der Erblasser und seine Ehefrau dem Beklagten den gesamten „größtenteils“ dem Erblasser gehörenden Weinbaubetrieb, der mehrere (überwiegend im Alleineigentum des Erblassers stehende) Liegenschaften umfasste. Der Beklagte verpflichtete sich zur Erbringung verschiedener Gegenleistungen: Er übernahm unter anderem eine Kreditverbindlichkeit und verpflichtete sich zur Verköstigung des Erblassers, zur unentgeltlichen Lieferung von fünfhundert Flaschen Wein pro Jahr und zu einer (wertgesicherten) monatlichen Unterhaltszahlung an den Erblasser. Weiters räumte der Beklagte den beiden Übergebern ein Wohnungsgebrauchsrecht am gesamten ersten Stock eines näher bezeichneten Hauses ein.

Die pflichtteilsberechtigten Kläger begehren vom Beklagten als Geschenknehmer (§ 789 f ABGB) unter Hinzurechnung des Schenkungsanteils am übergebenen Weinbaubetrieb die Zahlung von jeweils 121.639 EUR sA.

Das Erstgericht traf nähere Feststellungen zum Wert des übergebenen Betriebs und der vereinbarten Gegenleistungen, woraus es auf einen Gesamtwert der Gegenleistungen von etwas mehr als 20 % des Werts des übergebenen Weinbaubetriebs schloss. Das Erstgericht konnte nicht feststellen, ob die Vertragsparteien den Willen hatten, dass ein Teil des Geschäfts unentgeltlich sein sollte.

Ausgehend von der Annahme einer strengen Beweispflicht der Kläger für das Vorliegen von Schenkungsabsicht wiesen die Vorinstanzen das Klagebegehren ab.

Der Oberste Gerichtshof gab der außerordentlichen Revision der Kläger Folge.

In Fortschreibung der Entscheidungen 2 Ob 184/22f und 2 Ob 205/22v betonte der Senat, dass bei unentgeltlichen Zuwendungen, die die objektiven Voraussetzungen für eine (gemischte) Schenkung nach § 938 ABGB erfüllen können, eine Anrechnung nach § 781 ABGB nur dann zu bejahen ist, wenn das gebotene subjektive Element (Wille zur Freigiebigkeit) vorliegt. Jedenfalls bei jenen Zuwendungen, bei denen der Empfänger durch die Überlassung einer Sache objektiv bereichert wird, setzt eine Hinzu- und Anrechnung der Zuwendung nach § 781 Abs 1 ABGB dieses subjektive Element voraus. Der Auffangtatbestand des § 781 Abs 2 Z 6 ABGB dient damit nicht für jene Fälle, die bereits unter Abs 1 fallen können, bei denen die Anrechnung aber (nur) am fehlenden Schenkungswillen scheitert.

Darüber hinaus setzte sich der Senat ausführlich mit der Rechtsprechung auseinander, wonach das Vorliegen eines krassen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung bei schutzwürdigen Interessen Dritter – etwa im Pflichtteilsrecht – Schenkungsabsicht „indiziert“. Er erörterte auch das Spannungsverhältnis zwischen dieser bisherigen Rechtsprechung und den in der Entscheidung 2 Ob 205/22v enthaltenen Aussagen zur (strengen) Beweislast. Letztlich formulierte der Senat folgenden Rechtssatz:

Dem insoweit schutzwürdigen Pflichtteilsberechtigten ist (auch) im Anwendungsbereich des ErbRÄG 2015 bei Vorliegen eines krassen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung ein Anscheinsbeweis zuzubilligen, auf dessen Grundlage auf das Vorliegen von (festzustellender) Schenkungsabsicht geschlossen werden kann.

Da das Erstgericht im Anlassfall diese zuzubilligende Beweiserleichterung nicht berücksichtigt hat und aus in der Entscheidung näher dargestellten Gründen auch das Vorliegen eines krassen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung noch nicht abschließend beurteilt werden konnte, hob der Oberste Gerichtshof die Entscheidungen der Vorinstanzen auf.

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ogh.gv.at | 18.01.2025, 02:01
(https://www.ogh.gv.at/entscheidungen/entscheidungen-ogh/die-schenkungsabsicht-im-pflichtteilsrecht/)

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