Geldbuße wegen verbotener Preisabsprachen im Lebensmitteleinzelhandel
Geldbuße gegen einen marktmächtigen inländischen Lebensmittelhandelskonzern von 3 Millionen EUR auf 30 Millionen EUR erhöht
Die Bundeswettbewerbsbehörde begehrte die Verhängung einer Geldbuße „in angemessener Höhe“ gegen mehrere Unternehmen eines großen inländischen Lebensmittelhandelskonzerns wegen Preisabsprachen mit Lieferanten im Bereich der Molkereiprodukte und in Bezug auf 16 weitere Produktgruppen.
Folgender wesentlicher Sachverhalt wurde im Verfahren als erwiesen angenommen: Zwischen Juli 2002 und März 2012 kam es im Rahmen von Einkaufspreisverhandlungen zwischen den für Molkereiprokute zuständigen Einkäufern der betroffenen Unternehmen und Mitarbeitern der Lieferanten von Molkereiprodukten regelmäßig und flächendeckend zu Absprachen über Verkaufspreise des Lebensmittelhandelskonzerns. Die für den Konzern auftretenden Einkäufer verlangten im Zusammenhang mit von Lieferanten geforderten Einkaufspreiserhöhungen regelmäßig „Margenneutralität“, was bedeutet, dass die Marge (Spanne) des Konzerns bei einer Einkaufspreiserhöhung gleich bleiben müsse; dies setzte voraus, dass ein entsprechend höherer Verkaufspreis umsetzbar war. Zu diesem Zweck verlangten die Einkäufer von ihren Lieferanten, dass diese für ihre Produkte „empfohlene Verkaufspreise“ als Richtpreise festsetzten und diese auch den Wettbewerbern des Konzerns auf dem Markt für Lebensmitteleinzelhandel mitteilten. Auf diese Weise sollte erreicht werden, dass auch die Wettbewerber entsprechende Verkaufspreiserhöhungen in Bezug auf die von der Einkaufspreiserhöhung betroffenen Produkte vornehmen. Zum Nachweis der Umsetzung hatten die Lieferanten dem Konzern jeweils Preisspiegel bzw Kassabons der Wettbewerber zu übermitteln. Diese Forderung des Konzerns wurde von den Lieferanten auch jeweils befolgt; sie erwirkten regelmäßig, wenn auch nicht in allen Fällen, im Sinne der Vorgabe des Konzerns eine entsprechende Verkaufspreisanpassung auch bei den Wettbewerbern des Konzerns.
Das Kartellgericht verhängte mit Teilbeschluss vom 26. 11. 2014 über die Erst-, Zweit-, Dritt-, Viert- und Siebentantragsgegnerin wegen Zuwiderhandlung gegen Art 101 AEUV bzw Art 81 EG und § 1 KartG, nämlich vertikaler Verkaufspreisabstimmungen mit Lieferanten von Molkereiprodukten im Zeitraum Juli 2002 bis März 2012, eine Geldbuße von drei Millionen EUR.
Der Oberste Gerichtshof hat infolge von Rekursen der Antragstellerin und der betroffenen Unternehmen die Geldbuße auf 30 Millionen EUR erhöht.
Es ist kartellrechtlich unzulässig, dass ein Abnehmer den Lieferanten dazu bewegt, ein bestimmtes Preisniveau bei anderen Abnehmern durchzusetzen. Bei den festgestellten Verhaltensweisen handelt es sich um die Ausprägungsform einer komplexen Kernbeschränkung, die sich insofern von einer „klassischen“ Verkaufsabsprache unterscheidet, als hier die vertikalen Preisabstimmungen (unter anderem in Form der vereinbarten „Margenneutralität“) durch ausgeprägte horizontale Elemente der „Absicherung“ der vertikalen Vereinbarungen im Hinblick auf das horizontale Verhältnis zwischen Wettbewerbsunternehmen der Handelsebene in ihrer kartellrechtlichen Schädlichkeit noch verstärkt wurden.
Zur Höhe der Geldbuße führt der Senat aus, dass ein Bußgeld nur dann abschreckend wirkt, wenn dessen Höhe und Wahrscheinlichkeit den zu erwartenden Kartellgewinn übersteigt. Daher ist die theoretisch optimale Höhe der Geldbuße für einen Wettbewerbsverstoß der Betrag des erlangten Gewinns zuzüglich einer Marge, die garantiert, dass die Zuwiderhandlung nicht Folge eines rationalen Kalküls ist. Die Festsetzung einer kartellrechtlichen Geldbuße ist eine Ermessensentscheidung, bei der neben den gesetzlichen Bemessungsfaktoren die Umstände des Einzelfalls und der Kontext der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen sind. Es handelt sich dabei um eine rechtliche und wirtschaftliche Gesamtwürdigung aller Umstände.
Der vorliegende Kartellrechtsverstoß ist, gemessen an den Kriterien Schwere (Kernverstoß), Dauer (zehn Jahre), Vorsatzgrad und Finanzkraft des betroffenen Konzerns, jeweils als deutlich überdurchschnittlich anzusehen. Der betroffene Konzern hat sein Verhalten zudem auch noch nach Hinweisen auf die Rechtswidrigkeit durch den Österreichischen Verband der Markenartikelindustrie fortgesetzt. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass sich das festgestellte Verhalten nur auf einen kleinen Teil der vom Konzern angebotenen Produkte bezog. Der Senat hält daher eine Geldbuße von 30 Millionen EUR für angemessen, was etwa 3,5 % der gesetzlich möglichen Obergrenze (10 % des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes) entspricht.