Gratiskredit durch Rundungsregel?
Ein übereinstimmender Geschäftswille ist selbst dann relevant, wenn er sich nicht im Vertragstext niedergeschlagen hat.
Die klagenden Verbraucher und die beklagte Bank schlossen 2002 einen Kreditvertrag ab, in dem sich die Beklagte gegenüber den Klägern verpflichtete, einen in Euro und Fremdwährung einmalig ausnützbaren Kredit bis zum Gegenwert von 210.000 EUR in Schweizer Franken zur Verfügung zu stellen. Im Kreditvertrag wurde vereinbart, dass der Zinssatz der Entwicklung der Refinanzierungskosten angepasst wird, wobei als Indikator für die Refinanzierungskosten die LIBOR Zinssätze für Einmonatsgelder „jeweils aufgerundet auf volle 0,125 Prozentpunkte“ dienten.
Von den Klägern wurde im Verfahren nicht substantiiert bestritten, dass die in der Zinsgleitklausel angeführte Aufrundung auf volle 0,125 Prozentpunkte tatsächlich nicht erfolgte. Die Rundung erfolgte tatsächlich während des gesamten Kreditverhältnisses vielmehr kaufmännisch. Im kaufmännischen Sinne wird dahingehend gerundet, dass abgerundet wird, wenn die Zahl an der ersten wegfallenden Dezimalstelle eine 0, 1, 2, 3 oder 4 ist, sonst wird aufgerundet.
Die Kläger begehrten ua, die Gesamtnichtigkeit des Kreditvertrags festzustellen. Dazu führten sie ua aus, dass die referierte Rundungsregel missbräuchlich sei, weil nach dieser Klausel einseitig zugunsten der Beklagten aufzurunden sei, was gegen § 6 Abs 1 Z 5 KSchG verstoße.
Die Beklagte wandte ein, dass die Kläger durch die Zinsgleitklausel keinen wie immer gearteten Nachteil erlitten hätten, die Rundung sei stets kaufmännisch erfolgt. Die Kläger zielten mit der von ihnen behaupteten Gesamtnichtigkeit des Vertrags darauf ab, einen gänzlich zinsenlosen Kredit zu erwirken.
Der Oberste Gerichtshof verneinte die Nichtigkeit des Vertrags ua auch mangels Missbräuchlichkeit der Zinsgleitklausel.
Er hielt fest, dass auch Zinsgleitklauseln den Kriterien des § 6 Abs 1 Z 5 KSchG entsprechen müssen, wonach eine Entgeltsenkung im gleichen Ausmaß und in der gleichen zeitlichen Umsetzung wie eine Entgeltsteigerung erfolgen muss.
Wenn ein Kreditgeber ungeachtet des Wortlauts der Klausel während des Vertragsverhältnisses über mehr als zwei Jahrzehnte keine einseitige Aufrundung vorgenommen, sondern kaufmännisch gerundet hat, ist diese praktische Handhabe ein deutliches Indiz dafür, dass die Klausel nach dem beidseitigen Geschäftswillen auch schon beim Vertragsabschluss keine § 6 Abs 1 Z 5 KSchG widersprechende einseitige Aufrundung ermöglichen sollte. Es entspricht der praktischen Lebenserfahrung, dass sich ein Kreditgeber mit einer bestimmten (und für ihn im Vergleich zum Vertragstext nachteiligen) Art der Vertragserfüllung zufrieden gibt, wenn sich diese mit seinem tatsächlichen Verständnis vom Vertragsinhalt und damit auch mit ihrem tatsächlichen Geschäftswillen deckt. Ist von einem derartigen Geschäftswillen auszugehen, kommt es nicht mehr darauf an, ob der Wortlaut der Klausel eine Abrundung ausdrücklich ausschließt, weil der übereinstimmende Geschäftswille selbst dann relevant ist, wenn er sich nicht im Vertragstext niedergeschlagen hat.
Zudem wäre es der beklagten Bank wegen des Grundsatzes des „venire contra factum proprium“ verwehrt, sich nach über 20 Jahren im weiteren Vertragsverhältnis plötzlich (und missbräuchlich) auf eine einseitige Rundungsmöglichkeit zu berufen.