Haftung der Halterin eines Linienbusses nach Sturz eines Fahrgastes beim Einsteigen
Auch ein dem „Stand der Technik“ entsprechender Schließmechanismus der Tür kann zur Haftung führen, wenn er für in ihrer geistigen und/oder körperlichen Beweglichkeit beeinträchtigte Fahrgäste konkret gefährlich ist.
Der Linienbus ist mit Türen ausgestattet, die nach der Betätigung des Druckknopfs zunächst eine Sekunde lang geöffnet bleiben. Danach ertönt knapp zwei weitere Sekunden lang ein das automatische Schließen der Tür ankündigendes Warnsignal. Ein Fahrgast hat nach dem Öffnen der Tür daher rund drei Sekunden Zeit, um zumindest 20 cm in das Innere des Busses bis zur dort angebrachten „Lichtdusche“ zu gelangen und das automatische Schließen der Tür zu verhindern. Dieser Türmechanismus entspricht dem „Stand der Technik“ und war voll funktionsfähig. Die 1939 geborene Klägerin ließ zuerst andere Fahrgäste aussteigen und wollte dann selbst in den Linienbus einsteigen. Sie erfasste einen an der Türinnenseite angebrachten Haltegriff. Der weitere Unfallhergang steht nicht fest. Sie kam zu Sturz, entweder als sie den auf den Türauftritt gesetzten Fuß wieder auf den Gehsteig zurückstellte oder als sie ihre von der (mittlerweile geschlossenen) Tür eingeklemmten Finger herauszog.
Beide Vorinstanzen wiesen das auf Schadenersatz gerichtete Klagebegehren ab.
Der Oberste Gerichtshof bejahte hingegen mit Hinweis auf einschlägige Vorjudikatur die Gefährdungshaftung der Halterin des Linienbusses nach dem EKHG. Dass der Schließmechanismus der Tür dem „Stand der Technik“ entsprach, ändert nichts an dessen konkreter Gefährlichkeit für Fahrgäste, deren geistige und/oder körperliche Beweglichkeit aufgrund Alters, Gebrechlichkeit oder anderer Gründe beeinträchtigt ist. Eine Zeitspanne von knapp zwei Sekunden zwischen dem Ertönen des Warntons und dem Schließen reicht bei solchen Fahrgästen nicht in jedem Fall, um ein davor begonnenes Einsteigen so weit fortzusetzen, dass die „Lichtdusche“ ausgelöst und dadurch das Schließen verhindert wird. Es liegt auf der Hand, dass dies wegen eines durch den Schließvorgang verursachten Erschreckens, im konkreten Fall aber auch wegen der Bewegung der an der Tür angebrachten Haltegriffe zu Unfällen führen kann. Die beklagte Halterin hat den ihr obliegenden Entlastungsbeweis nicht erbracht. Auch der Beweis für ein Mitverschulden der Klägerin ist ihr nicht gelungen.