Inkognitoadoption
Zulässigkeitskriterien für eine Inkognitoadoption im Lichte des Grundrechtes des minderjährigen Adoptivkindes auf Kenntnis seiner Herkunft.
Die Wahleltern schlossen am 30. 11. 2005 einen Inkognitoadoptionsvertrag mit dem am 24. 5. 2005 geborenen Wahlkind, das durch den zuständigen Jugendwohlfahrtsträger vertreten wurde. Das Wahlkind befand sich bereits praktisch von Geburt an sechs Monate in Pflege der Wahleltern, entwickelte sich sehr gut und altersentsprechend. Es besteht eine liebevolle Beziehung zwischen dem Minderjährigen und der Adoptivmutter. Die Adoptiveltern zeigen eine offene Einstellung zum Thema „Adoption“ und erklärten deshalb, dem Minderjährigen die Tatsache der Adoption nicht verheimlichen zu wollen. Die leibliche Mutter erklärte nach Belehrung über die rechtlichen Wirkungen einer Inkognitoadoption gegenüber einer Sozialarbeiterin ihre Zustimmung zu einer derartigen Adoption und verweigerte die Angabe des leiblichen Vaters aus persönlichen Gründen.
Das Erstgericht wies den Antrag des Jugendwohlfahrtsträgers auf Bewilligung der Adoption wegen eines eindeutigen Verstoßes gegen das einem Kind durch das UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Kinderrechtskonvention) eingeräumte vorrangige Recht, seine Eltern zu kennen und von ihnen betreut zu werden, ab. Das vom Jugendwohlfahrtsträger und den Wahleltern angerufene Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Jugendwohlfahrtsträger Folge und bewilligte die Annahme an Kindes statt. Zur Rechtsauffassung der Vorinstanzen, welche die Zulässigkeit der Inkognitoadoption als Rechtsinstitut grundsätzlich in Frage stellten, führte er zusammengefasst aus:
Der in Art 8 Abs 1 EMRK gewährte Schutz des Privatlebens umfasst auch das Recht auf persönliche Entwicklung und auf äußere Beziehungen zu anderen Menschen, woraus das Recht auf Kenntnis der Abstammung, das heißt der genetischen Herkunft abgeleitet wird. Ein minderjähriges Kind, ist berechtigt, Informationen über seine Abstammung zu erhalten. Das Recht eines Kindes, seine Eltern zu kennen, wird auch in Art 7 Abs 1 der in Österreich nicht unmittelbar anzuwendenden UN-Kinderrechtskonvention verankert, die in ihrem Art 3 bei Kinder betreffenden Entscheidungen die vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohles verlangt. Auch das Übereinkommen über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption (Haager Konvention über die internationale Adoption), das in Österreich am 1. 9. 1999 in Kraft getreten ist, enthält in seinem Art 30 die grundsätzliche Verpflichtung der einzelnen Vertragsstaaten, die vorliegenden Angaben über die Herkunft des Kindes, insbesondere über die Identität seiner biologischen Eltern, aufzubewahren und dem Kind sowie seinen Vertretern unter entsprechender Anleitung den Zugang zu diesen Daten zu ermöglichen. Die österreichische Rechtsordnung gewährleistet dieses Grundrecht des minderjährigen Adoptivkindes auf Kenntnis seiner Herkunft nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs in ausreichendem Maß (37 Abs 1 und 2 Personenstandsgesetz; § 20 Abs 2 Fortpflanzungsmedizingesetz; § 104 Abs 1 AußStrG), weshalb die Befürchtung des Rekursgerichtes, bereits die Inkognitoadoption als solche gefährde das Kindeswohl, nicht zutrifft. Die Adoption war daher in Abänderung der vorinstanzlichen Entscheidungen zu bewilligen.