Insolvenzanfechtungsklage gegen die Ehefrau des faktischen Geschäftsführers
Der faktische Geschäftsführer ist „Mitglied des Leitungs- oder Aufsichtsorgans“ einer Gesellschaft im Sinne der Insolvenzordnung.
Über das Vermögen einer GmbH wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Zuvor hatte die GmbH der Ehefrau ihres faktischen Geschäftsführers Liegenschaften unter deren Wert verkauft. Der Oberste Gerichtshof hatte erstmals zu klären, ob auch der faktische Geschäftsführer als „Mitglied des Leitungs- oder Aufsichtsorgans“ einer Gesellschaft im Sinne der Insolvenzordnung und damit als deren „Angehöriger“ gilt (und in Folge dessen auch seine eigenen Angehörigen – wie hier seine Ehefrau – Teil der sogenannten familia suspecta sind). Der Oberste Gerichtshof bejahte dies und führte dazu unter anderem aus:
Nach § 32 Abs 2 Z 1 IO gelten die Mitglieder des Leitungs- oder Aufsichtsorgans, wenn der Schuldner eine juristische Person, eine Personengesellschaft oder ein sonstiges parteifähiges Gebilde ist, als nahe Angehörige des Schuldners. Den Gesetzesmaterialien ist als Begründung für die Aufnahme der Mitglieder des Leitungs- oder Aufsichtsorgans in den Kreis der nahen Angehörigen zu entnehmen, dass auch ihnen Insiderstellung zukomme.
Der faktische hat gleich dem rechtlichen Geschäftsführer „Insiderstellung“, mit anderen Worten eine „besondere Informationsmöglichkeit“ über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners. Dies rechtfertigt, auch ihn als „Mitglied des Leitungsorgans“ zu qualifizieren. Den faktischen Geschäftsführer in Hinsicht auf § 32 Abs 2 Z 1 IO gleich dem rechtlichen Geschäftsführer zu behandeln und damit Anfechtungsansprüche zu eröffnen, steht wertungsmäßig mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs im Einklang, die den faktischen Geschäftsführer in Hinsicht auf seine deliktische Haftung grundsätzlich jenen Pflichten unterwirft, die den (formal) bestellten Geschäftsführer treffen.
Die Subsumtion des faktischen Geschäftsführers unter den Begriff „Mitglieder des Leitungs- oder Aufsichtsorgans“ in § 32 Abs 2 Z 1 IO führt nicht dazu, dass hierdurch „Tür und Tor geöffnet“ würde und man konsequenterweise ebenso zB leitende Angestellte und letztlich alle Personen, die aus welchen Gründen auch immer in den Besitz von Informationen gelangten, erfassen müsste. Grundsätzlich hat weder ein leitender Angestellter noch eine sonstige Person, die aus anderen Gründen zu einer Information gelangt, eine dem (faktischen oder rechtlichen) Geschäftsführer (nicht bloß im Einzelfall, sondern) – was für eine Analogie erforderlich wäre – regelmäßig gleichkommende Insiderstellung und damit Informationsbeschaffungsmöglichkeit.
Der Ehemann der Beklagten war aus den dargelegten Gründen als faktischer Geschäftsführer „Mitglied des Leitungsorgans“ der Schuldnerin iSd § 32 Abs 2 Z 1 IO und damit „naher Angehöriger“ der Schuldnerin.
Die Beklagte war als Ehefrau des faktischen Geschäftsführers und damit Mitglied des Leitungsorgans der Schuldnerin selbst nahe Angehörige der Schuldnerin.
Weil der Oberste Gerichtshof auch die übrigen Voraussetzungen des geltend gemachten Anfechtungstatbestandes bejahte, gab er der Insolvenzanfechtungsklage statt. Er bestätigte (im zweiten Rechtsgang) die Verurteilung der geklagten Ehefrau durch das Berufungsgericht zur Zahlung von 422.105,77 EUR samt Zinsen. Dabei handelte es sich grundsätzlich um die Differenz zwischen dem von ihr für die Liegenschaften gezahlten Preis und deren tatsächlichem Wert.
Die Klage hatte nicht der Insolvenzverwalter erhoben, sondern eine Person, der der Insolvenzverwalter den Anfechtungsanspruch verkauft hatte. In der in diesem Verfahren im ersten Rechtsgang ergangenen Entscheidung vom 17. 6. 2019, 17 Ob 6/19k, hatte der Oberste Gerichtshof entschieden, dass eine solche Abtretung eines Insolvenzanfechtungsanspruchs gültig ist. Das Verfahren im zweiten Rechtsgang diente der Klärung der inhaltlichen Berechtigung des abgetretenen Anfechtungsanspruchs.