Iranisches Erbrecht vor österreichischen Gerichten
Aufgrund eines bilateralen Staatsvertrags ist der Nachlass eines iranischen Staatsangehörigen auch von österreichischen Gerichten nach iranischem Recht abzuhandeln. Regelungen dieses Rechts, die nach dem Geschlecht der Erben unterscheiden, verstoßen aber gegen Grundwertungen des österreichischen Rechts und sind daher nicht anzuwenden.
Ein seit 2006 in Österreich wohnender iranischer Staatsangehöriger hinterließ bei seinem Tod eine Ehefrau und vier Kinder. Ein Sohn und zwei Töchter sind iranische und österreichische Staatsangehörige und wohnen in Österreich, der zweite Sohn ist iranischer und belgischer Staatsangehöriger und wohnt in Belgien. Die Witwe wohnt in Österreich und ist nur iranische Staatsangehörige.
Der Nachlass ist nach dem seit 1966 geltenden Freundschafts- und Niederlassungsvertrag zwischen der Republik Österreich und dem Kaiserreich Iran nach iranischem Recht abzuhandeln. Dieses Recht unterscheidet nach dem Geschlecht der Erben. Der Erbteil eines Witwers beträgt ein Viertel, jener einer Witwe ein Achtel; bei Kindern erben die Söhne jeweils doppelt so viel wie die Töchter. Für Liegenschaften gelten Sonderregeln, die ebenfalls nach dem Geschlecht differenzieren.
Das Erstgericht vertrat die Auffassung, dass diese Ungleichbehandlung gegen Grundwertungen des österreichischen Rechts (den österreichischen „ordre public“) verstoße, und wandte stattdessen österreichisches Erbrecht an. Das Gericht zweiter Instanz nahm demgegenüber an, dass die erbrechtliche Ungleichbehandlung dadurch ausgeglichen werde, dass nach iranischem Recht nur Söhne, nicht aber Töchter für Eltern und gegebenenfalls für Geschwister Unterhalt leisten müssten. Es verteilte den Nachlass daher nach iranischem Recht.
Der Oberste Gerichtshof stellte den Beschluss des Erstgerichts wieder her. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau gehört zu den Grundwertungen des österreichischen Rechts. Wenn österreichische Gerichte nach den Regeln des Internationalen Privatrechts fremdes Recht anzuwenden haben, kann eine dort vorgesehene Verschiedenbehandlung der Geschlechter, die sich im konkreten Fall auf das Ergebnis des Verfahrens auswirkte, in aller Regel nicht hingenommen werden. Stattdessen sind die entsprechenden Regelungen des österreichischen Rechts anzuwenden. Im konkreten Fall kann die theoretische Möglichkeit, dass Söhne anders als Töchter zur Leistung von Unterhalt verpflichtet sein könnten, die erbrechtliche Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen.