Ist YouTube für Urheberrechtsverletzungen seiner Nutzer verantwortlich und daher zur Unterlassung verpflichtet?
Der OGH ersucht den EuGH um Auslegung vor allem des Art 14 der Richtlinie zum elektronischen Geschäftsverkehr. Dabei geht es um die Frage, ob YouTube seine neutrale Rolle als Host-Service-Provider und damit das Haftungsprivileg verliert, wenn dem Nutzer zusätzlich zum Betrieb der Online-Videoplattform bestimmte Begleitservices angeboten werden, wie vor allem die Verknüpfung der von den Nutzern hochgeladenen Videos mit Werbung („monetarisieren“).
Die Beklagte betreibt unter der Domain www.youtube.com eine Online‑Videoplattform, auf der von Nutzern der Plattform hochgeladene Videos bereitgehalten werden, die von den Besuchern der Plattform abgespielt werden können. Die Beklagte betreibt ihren Dienst als Host‑Service‑Provider; ihre Dienstleistungen bestehen in der Speicherung von fremden Inhalten. Mit Zustimmung des Nutzers können die von ihm hochgeladenen Videos mit Werbung versehen werden; diesen Vorgang bezeichnet die Beklagte als „monetarisieren“. Die Verknüpfung der Videos mit Werbung erfolgt rein technisch und automatisch. Will der Nutzer von ihm hochgeladene Videos monetarisieren, so muss er bestätigen, dass er über die Urheber- oder Nutzungsrechte an den Videos verfügt. Die Beklagte verfügt auch über einen automatisierten Review‑Prozess, der aufgrund einer ausreichend substanziierten „Take-Down-Notice“ unverzüglich zu einer Sperre der beanstandeten Videos führt. Kommt in einem solchen Verfahren eine Rechtsverletzung zutage, so blockiert die Beklagte die betroffenen Inhalte oder sperrt das gesamte Konto des betroffenen Nutzers. Im Anlassfall hat die Beklagte die von der Klägerin wegen Urheberrechtsverletzungen beanstandeten Videos nach Kenntniserlangung von deren Urheberrechten durch Abmahnung jeweils unverzüglich entfernt.
Die Klägerin begehrte, der Beklagten zu verbieten, unter der Domain www.youtube.com Videos zur Verfügung zu stellen, die von der Klägerin hergestellte Filmwerke oder Laufbilder enthalten und von dazu nicht berechtigten Personen auf die von der Beklagten unter www.youtube.com betriebene Videoplattform hochgeladen wurden.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab.
Der Oberste Gerichtshof hat aufgrund der Revision der Klägerin beschlossen, dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) – im Anschluss an das Vorabentscheidungsersuchen des deutschen Bundesgerichtshofs zu C‑682/18 – folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
I. Ist Art 14 Abs 1 der Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr dahin auszulegen, dass der Betreiber einer Online‑Videoplattform als Host‑Service‑Provider dadurch eine aktive Rolle übernimmt, die zu einem Verlust des Haftungsprivilegs führt, dass er zusätzlich zur Zurverfügungstellung von Speicherplätzen für fremde Inhalte folgende Begleittätigkeiten erbringt oder dem Nutzer anbietet:
‑ Vorschlagen von Videos nach Themenbereichen;
‑ Erleichterung der Suche für Besucher nach Titel- oder Inhaltsangaben durch ein elektronisches Inhaltsverzeichnis, wobei der Nutzer die Titel- oder Inhaltsangaben vorgeben kann;
‑ Zurverfügungstellung von Online‑Hinweisen über die Nutzung des Dienstes („Hilfe“);
‑ bei Zustimmung des Nutzers Verbinden des vom Nutzer hochgeladenen Videos mit Werbung (allerdings keine Eigenwerbung des Plattformbetreibers) nach Wahl der Zielgruppe durch den Nutzer?
II. Steht eine nationale Rechtslage, nach der die Unterlassungspflicht eines Host‑Service‑Providers (Vermittlers) in einer aktiven Rolle als Gehilfe für die Rechtsverletzungen seiner Nutzer nur unter der Voraussetzung besteht, dass der Gehilfe die Rechtsverletzung des Nutzers bewusst gefördert hat, mit Art 11 Satz 1 der Richtlinie 2004/48/EG im Einklang, oder ist diese Bestimmung dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten Unterlassungsansprüche der Rechteinhaber gegen Gehilfen nicht von einer bewussten Förderung der Rechtsverletzung durch den Nutzer abhängig machen dürfen?
III. Sind die Regelungen in Art 12 bis 14 der Richtlinie 2000/31/EG über die Verantwortlichkeit der Vermittler als horizontale Haftungsbeschränkungen zu beurteilen, die jedem Vermittler in einer neutralen Rolle auch dann zugute kommen, wenn seine Tätigkeit urheberrechtlich als selbst begangene öffentliche Wiedergabe zu qualifizieren ist?
IV. Sind Art 14 Abs 3 (auch Art 12 Abs 3 und Art 13 Abs 2) der Richtlinie 2000/31/EG, Art 8 Abs 3 der Richtlinie 2001/29/EG und Art 11 Satz 3 der Richtlinie 2004/48/EG dahin auszulegen, dass einem Host-Service-Provider (Vermittler) in einer neutralen Rolle das Haftungsprivileg nach Art 14 Abs 1 der Richtlinie 2000/31/EG auch bei einem gegen ihn erhobenen Unterlassungsanspruch zur Verfügung steht und ist daher auch eine gerichtliche Unterlassungsanordnung gegenüber einem solchen Vermittler nur dann zulässig, wenn er tatsächliche Kenntnis von der rechtswidrigen Tätigkeit oder Information hat, oder ist eine solche gerichtliche Unterlassungsanordnung schon dann zulässig, wenn der Host-Service-Provider nach einer konkreten Abmahnung die als rechtsverletzend beanstandeten Inhalte nicht unverzüglich entfernt oder sperrt und sich im gerichtlichen Verfahren die Rechtsverletzung bestätigt?