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Kann der letztwillig Verfügende die Herausgabe eines gerichtlichen Testaments verlangen?

 
 

Der Oberste Gerichtshof befürwortet eine analoge Anwendung des § 74 NO auf gerichtliche Testamente.

Die Antragstellerin hinterlegte 2006 ein schriftliches Testament beim Erstgericht, worüber ein Protokoll gemäß § 587 ABGB aF erstellt wurde. Im Herbst 2023 beantragte der Ehemann der Stieftochter im Namen der Antragstellerin die Ausfolgung dieses bei Gericht hinterlegten Testaments und übermittelte eine (Farb-)Kopie einer (unter anderem) für ihn ausgestellten Spezialvollmacht, auf der die Unterschrift der Antragstellerin notariell beglaubigt worden war.

Die Vorinstanzen wiesen diesen Antrag ab, weil nach den Vorschriften der Geschäftsordnung für die Gerichte 1. und 2. Instanz (GeO) die Urschrift einer bei Gericht zu Lebzeiten des Erblassers übergebenen letztwilligen Anordnung dauernd aufzubewahren sei (§ 168 Abs 1 iVm § 173 Z 7 GeO).

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der Antragstellerin Folge.

Er betonte, dass sowohl das gerichtliche Testament als auch das notarielle Testament öffentliche letztwillige Verfügungen darstellen. Während für das notarielle Testament (in der Erscheinungsform des notariellen Protokolls) mit der Vorschrift des § 74 Notariatsordnung (NO) eine ausdrückliche Regelung über die Möglichkeit eines Verlangens des letztwillig Verfügenden auf Zurückstellung der letztwilligen Anordnung besteht, fehlt eine vergleichbare Bestimmung für das gerichtliche Testament. In Übereinstimmung mit der Literatur befürwortet der Oberste Gerichtshof wegen der bestehenden Regelungslücke eine analoge bzw sinngemäße Anwendung des § 74 NO auf das gerichtliche schriftliche Testament. Im Ergebnis bedeutet das:

Entweder der letztwillig Verfügende selbst oder ein von diesem mit beglaubigter Spezialvollmacht ausgestatteter Bevollmächtigter kann die Rückgabe des gerichtlichen schriftlichen Testaments zu Lebzeiten des letztwillig Verfügenden verlangen. Über diese Rückgabe ist ein entsprechendes gerichtliches Protokoll anzufertigen, sodass eine persönliche Anwesenheit des letztwillig Verfügenden oder seines Bevollmächtigten, der die Spezialvollmacht im Original vorzulegen hat, bei Gericht erforderlich ist.

Zum Volltext im RIS.

 
ogh.gv.at | 08.09.2024, 01:09
(https://www.ogh.gv.at/entscheidungen/entscheidungen-ogh/kann-der-letztwillig-verfuegende-die-herausgabe-eines-gerichtlichen-testaments-verlangen/)

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