Kein Vorrang bei Befahren einer Sperrfläche
Ein Verkehrsteilnehmer, der eine Verkehrsfläche benutzt, die überhaupt nicht befahren werden darf, kann sich nicht auf die Vorrangregel berufen.
Auf dem Rennweg in Wien war auf dem stadteinwärts führenden Teil der Fahrbahn eine Fahrzeugkolonne verkehrsbedingt zum Stillstand gekommen. An der Kreuzung mit der benachrangten Stanislausgasse blieb für den Querverkehr eine Durchfahrtsgasse frei. Die Klägerin wollte diese Lücke nutzen, um mit ihrem Fahrrad den Rennweg zu überqueren. Als sie den stadteinwärts führenden Fahrbahnteil passiert hatte, kam es zur Kollision mit dem an der stehenden Kolonne vorbeifahrenden Lenker eines Kleinkraftrads. Dessen Fahrlinie lag in Annäherung an die Kreuzung jenseits der den Fahrstreifen von den Straßenbahngleisen trennenden Sperrlinie, die kurz vor der Kreuzung noch in eine Sperrfläche überging. Beide Lenker konnten auf den jeweils anderen nicht mehr rechtzeitig reagieren.
Das Erstgericht entschied im Sinne des Alleinverschuldens des motorisierten Lenkers. Das Berufungsgericht ging dagegen von einem Mitverschulden der Klägerin im Ausmaß eines Drittels aus.
Der Oberste Gerichtshof stellte die erstinstanzliche Entscheidung wieder her. Er betonte, dass der Vorrang bei Übertretung von Verkehrsvorschriften zwar grundsätzlich nicht verloren geht, wohl aber, wenn der Wartepflichtige mit einer derartigen Fahrweise nicht rechnen musste bzw bei besonders krassen Verkehrswidrigkeiten. Benützt ein Verkehrsteilnehmer eine Verkehrsfläche, die überhaupt nicht befahren werden darf, kann er sich auf seinen Vorrang nicht berufen. Das gilt auch, wenn eine Sperrfläche befahren wird. Die Klägerin, die mit einem dort fahrenden Verkehrsteilnehmer nicht rechnen musste, trifft daher kein Mitverschulden.