Keine Amtshaftung wegen gesetzwidriger COVID-19-Verordnung im Frühjahr 2020
Aus der vom Verfassungsgerichtshof festgestellten Gesetzwidrigkeit von Bestimmungen einer COVID-19-Verordnung kann angesichts des nicht eindeutigen Gesetzestextes und des Zeitdrucks bei der Erlassung dieser Verordnung kein Verschulden des die Verordnung erlassenden Gesundheitsministers abgeleitet werden.
Der Verfassungsgerichtshof stellte mit Erkenntnis V 363/2020 fest, dass § 1 und § 2 der „Verordnung gemäß § 2 Z 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes“, die vom 16. 3. 2020 bis 30. 4. 2020 in Kraft gestanden war, gesetzwidrig waren, weil nach § 2 Ziffer 1 COVID-19-Maßnahmengesetz keine gesetzliche Grundlage für ein umfassendes Betretungsverbot für öffentliche Orte bestanden habe.
Der Kläger verkauft eine „Straßenzeitung“ und begehrte vom Bund ideellen Schadenersatz wegen behaupteter Freiheitsentziehung und im Wege der Amtshaftung Verdienstentgang infolge der unvertretbar gesetzwidrigen COVID-19-Verordnung. Er habe nach einem Vorfall Ende März 2020, der zu einem (später eingestellten) Verwaltungsstrafverfahren geführt habe, seine Tätigkeit als Verkäufer der „Straßenzeitung“ in den Monaten April bis einschließlich Juli 2020 aus Angst vor weiteren Geldstrafen nicht ausgeübt, weil solche Geldstrafen für ihn eine enorme finanzielle Belastung und existentielle Bedrohung bedeutet hätten. Daneben habe er an 109 Tagen eine Freiheitsentziehung erlitten, weil ein generelles Ausgangsverbot bestanden habe.
Die Vorinstanzen werteten die Anordnungen in der Verordnung nicht als Freiheitsentziehung und das Vorgehen des Gesundheitsministers bei Erlassung der rechtswidrigen Bestimmungen der Verordnungen als vertretbar und wiesen das Klagebegehren deshalb ab.
Der Oberste Gerichtshof teilte diese Rechtsansicht:
Voraussetzung des in Artikel 7 B VG über den Schutz der persönlichen Freiheit und Artikel 5 Absatz 5 Europäische Menschenrechtskonvention geregelten verschuldensunabhängigen Schadenersatzanspruchs ist das Vorliegen eines Freiheitsentzugs. Angesichts der weitgehenden Ausnahmen – öffentliche Orte durften immer betreten werden, sofern dabei ein Mindestabstand von einem Meter zu anderen Menschen eingehalten wurde – waren die Ausgangsbeschränkungen nach der COVID-19-Verordnung aber kein Freiheitsentzug.
Der Gesundheitsminister erließ noch am selben Tag, an dem das zugrundeliegende COVID 19 Maßnahmengesetz im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde, die COVID-19-Verordnung. Dass infolge des großen Arbeits und Zeitdrucks für die Formulierung der auf den Maßnahmen des Gesetzes beruhenden Verordnung nicht dieselbe Sorgfalt an den Tag gelegt werden konnte, wie wenn sie nicht unter einem solchen Zeitdruck erarbeitet hätte werden müssen, liegt auf der Hand. Angesichts des zudem nicht eindeutigen Gesetzestextes hat der Gesundheitsminister bei der Erlassung der COVID-19-Verordnung nicht schuldhaft gehandelt. Damit scheiden Amtshaftungsansprüche des Klägers aus.