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Keine Bindung des Gerichts an die Subsumtion in der Anklage bei Prüfung der Zuständigkeit

 
 

Bezugspunkt für die Prüfung der Zuständigkeit durch ein über die Rechtswirksamkeit einer Anklage (§ 4 Abs 2 StPO) entscheidendes Gericht ist der von der Anklage vorgegebene Prozessgegenstand (Anklagesachverhalt), nicht die von der Staatsanwaltschaft vorgenommene rechtliche Beurteilung.

Die Staatsanwaltschaft brachte gegen eine Beschuldigte eine Anklageschrift ein. Darin legte sie ihr Taten zur Last, die sie rechtlich als Verbrechen des Totschlags nach §§ 15 Abs 1, 12 zweiter Fall, 76 StGB beurteilte. Danach habe sich die Beschuldigte jeweils in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen lassen, zu versuchen, einen praktischen Arzt durch die Aufforderung, die weitere ärztliche Behandlung ihres Gatten zu unterlassen, damit jener endlich „einschlafen“ könne, sowie den Leiter des Pflegedienstes eines Altenheims durch die Aufforderung, er solle die von ihrem Gatten benötigten Medikamente weglassen und ihrem Gatten „etwas“ geben, damit „es“ schneller gehe, dazu zu bestimmen, ihren 98‑jährigen Gatten zu töten.

Die Angeklagte erhob gegen die Anklageschrift keinen Einspruch.

Der Vorsitzende des von der Staatsanwaltschaft angerufenen Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht teilte dem Oberlandesgericht Linz gemäß § 213 Abs 6 zweiter Satz StPO seine Bedenken gegen die sachliche Zuständigkeit des Gerichts mit. Diese begründete er zusammengefasst damit, dass sich weder aus dem der Anklage zugrunde gelegten Sachverhalt noch aus dem Akteninhalt (insbesondere dem psychiatrischen Gutachten) Hinweise auf das Vorliegen von einer jeweils zu den Tatzeitpunkten bestehenden allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung der Angeklagten im Sinn des § 76 StGB ergeben würden. Die inkriminierten Tathandlungen seien daher jeweils dem Verbrechen des Mordes nach §§ 15 Abs 1, 12 zweiter Fall, 75 StGB zu unterstellen, wofür das Geschworenengericht zuständig wäre.

Das Oberlandesgericht sprach mit Beschluss aus, dass die Anklageschrift keine der in § 212 Z 1 bis 7 StPO genannten Mängel aufweise, und stellte die Rechtswirksamkeit derselben fest. Bezugspunkt für die Beurteilung der sachlichen Zuständigkeit sei die in der Anklage genannte strafbare Handlung, hier also Totschlag nach § 76 StGB. Dem Oberlandesgericht sei es daher – auch wenn die Bedenken des Erstgerichts zutreffend wären – verwehrt, die Anklage einem Gericht höherer Ordnung zuzuweisen. Eine sachliche Unzuständigkeit könne (nur) das zur Entscheidung berufene Schöffengericht durch Fällung eines Unzuständigkeitsurteils (§ 261 StPO) beheben.

Gegen diesen Beschluss des Oberlandesgerichts erhob die Generalprokuratur Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes.

Der Oberste Gerichtshof stellte daraufhin klar:

Bezugspunkt für die Prüfung der (auch sachlichen) Zuständigkeit durch ein über die Rechtswirksamkeit einer Anklage (§ 4 Abs 2 StPO) entscheidendes Gericht ist der von der Anklage vorgegebene Prozessgegenstand (Anklagesachverhalt). Bei dieser Prüfung hat das Gericht die rechtliche Beurteilung des von der Anklage erfassten Sachverhalts selbständig anhand der Verdachtslage (im Sinn eines Anschuldigungsbeweises) vorzunehmen, wie sie sich aus dem Strafakt ergibt. Eine Bindung an die Subsumtion in der Anklage besteht somit nicht.

Zum Volltext im RIS.

 
ogh.gv.at | 15.11.2024, 12:11
(https://www.ogh.gv.at/entscheidungen/entscheidungen-ogh/keine-bindung-des-gerichts-an-die-subsumtion-in-der-anklage-bei-pruefung-der-zustaendigkeit/)

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