Klagsrücknahme durch einen Gesamtgläubiger beschränkt den Anspruch nicht
Die Klagsrücknahme unter Anspruchsverzicht hat grundsätzlich (außer die Auslegung der Prozesserklärung führt zu einem anderen Ergebnis) nur prozessuale Wirkungen. Die Zurücknahme der Klage durch nur einen von mehreren Gesamtgläubigern wirkt nur für diesen.
Der Kläger macht Schadenersatzansprüche aus dem Erwerb von Zertifikaten geltend, die an der Wiener Börse gehandelt wurden. Die Beklagte war für die Platzierung der Zertifikate an der Börse zuständig und fungierte als Depotbank. Für den Kläger und für seine Ehegattin (beide haben die Zertifikate gemeinsam erworben) war ein sogenanntes „Oder-Depot“ eingerichtet.
Der Kläger begehrte letztlich (nach Verkauf der unerwünschten Zertifikate) die Zahlung des Differenzschadens von 55.122,98 EUR. Zunächst wurde die Klage vom Kläger und seiner Ehegattin eingebracht. In der Verhandlung vom 14. 10. 2016 zog die Ehegattin die Klage unter Anspruchsverzicht zurück.
Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 27.561,49 EUR; das Mehrbegehren wies es ab. Das Berufungsgericht gab hingegen dem (restlichen) Klagebegehren zur Gänze statt.
Der Oberste Gerichtshof wies die Revision der Beklagten zurück und führte aus:
Die Klagsrücknahme (hier durch die Ehegattin) ist die prozessual wirksame Erklärung des Klägers, auf den gerichtlichen Rechtsschutz zu verzichten. Nach der Rechtsprechung ist auch die Klagsrücknahme unter Anspruchsverzicht eine reine Prozesshandlung, der aber die Eignung zur Doppelfunktionalität zukommen kann. Ob dies der Fall ist, hängt davon ab, ob die Rücknahmeerklärung auch eine privatrechtliche Willenserklärung im Sinn eines materiell-rechtlichen Anspruchsverzichts enthält. Die Klagsrücknahme unter Anspruchsverzicht hat somit zunächst nur prozessuale Wirkungen. Diese bestehen darin, dass das Verfahren über die zurückgenommene Klage beendet und die Gerichts- sowie die Streitanhängigkeit aufgehoben wird und es dem Kläger zudem verwehrt ist, denselben Anspruch aus denselben rechtserzeugenden Tatsachen neuerlich geltend zu machen. Ob der Klagsrücknahme auch materielle Wirkungen zukommen, ist durch Auslegung zu klären, wobei es bei Prozesshandlungen nur auf den objektiven Erklärungswert ankommt.
Die Zurücknahme der Klage durch nur einen von mehreren Streitgenossen wirkt grundsätzlich nur für den die Klage zurückziehenden Streitgenossen (hier die Ehegattin des Klägers) und ist unter den allgemeinen Voraussetzungen zulässig. Aus der Prozesserklärung der Ehegattin ergibt sich, dass der bisherige Erstkläger (Ehegatte) weiterhin den gesamten Schaden geltend machte. Daraus folgt eindeutig, dass die Ehegattin lediglich aus dem Verfahren ausscheiden, sich dieser Umstand auf die durch den bisherigen Erstkläger verfolgten Ansprüche aber nicht auswirken sollte. Der Klagsrücknahme der Ehegattin kam damit nur prozessuale Wirkung zu; sie verzichtete nur auf die gerichtliche Geltendmachung des Klagsanspruchs. Der Kläger (Ehegatte) ist daher berechtigt, den gesamten Schaden aus der unerwünschten Kapitalanlage geltend zu machen.