Kontaktrecht nach § 188 Abs 2 ABGB idF KindNamRÄG 2013
Klarstellungen zur Vaterschaftsfeststellung im Zusammenhang mit dem Antrag des angeblich biologischen Vaters, ihm ein Kontaktrecht einzuräumen.
Als die Mutter im Juli 2014 eine Tochter zur Welt brachte war sie zu diesem Zeitpunkt seit ca 6 Wochen mit einem Mann (rechtlicher Vater) verheiratet. Das Mädchen wächst seit seiner Geburt in deren gemeinsamen Haushalt von Mutter und ihrem Ehemann (Antragsgegner) in Österreich im Familienverband auf. Im empfängniskritischen Zeitraum im Oktober 2013 kam es zwischen der Mutter und einem in Großbritannien wohnhaften Mann (Antragsteller) zu einem Intimverkehr. Am Beginn der folgenden Schwangerschaft bezeichnete die Mutter den Antragsteller als Vater, wandte sich aber später von ihm ab. Der Antragsteller hat das Kind trotz entsprechender (ua gerichtlicher) Versuche bisher nie persönlich gesehen oder kennengelernt, weil es die Mutter ablehnt.
Bereits 8 Monate nach der Geburt des Kindes begehrte der Antragsteller, ihm ein Kontaktrecht als leiblicher Vater einzuräumen. Seit Kenntnis der Schwangerschaft sei es sein Wunsch, für das Kind Sorge zu tragen und eine Beziehung zu ihm auszubauen, was die Mutter bisher völlig abgelehnt habe. Als mutmaßlicher leiblicher Vater, der noch keine sozial-familiäre Beziehung zu seinem Kind habe, sondern eine solche erst aufbauen wolle, sei nach der Rechtsprechung des EGMR sein nach Art 8 MRK geschütztes Recht auf Achtung des Privatlebens verletzt, wenn ihm ein Umgangs- und Auskunftsrecht zu seinem Kind verweigert werde. Die Kenntnis über die Person des biologischen Vaters sei für das Wohl des Kindes unerlässlich.
Die Antragsgegner hielten dem entgegen, für sie bestehe kein Zweifel, dass der rechtliche auch der leibliche Vater sei. Sie habe anfänglich selbst an dessen Vaterschaft geglaubt. Während der Schwangerschaft habe er die Mutter nach ihrer Mitteilung, das Kind sei nicht von ihm und sie wolle den Kontakt zu ihm abbrechen, regelrecht terrorisiert. Der Antragsgegner störe das aus den Eltern und zwei Kindern bestehende familiäre Gefüge enorm. Eine inzidente Vaterschaftsfeststellung sei im Kontaktrechtsverfahren unzulässig.
Das Erstgericht wies den Antrag zurück, weil dem Antragsteller mangels Feststellung seiner biologischen Vaterschaft keine Antragslegitimation zukomme.
Das Rekursgericht bejahte zwar die Antragslegitimation, verneinte aber die Frage, ob ein Kontakt dem Kindeswohl diene, weil der Antragsteller keine konkreten Argumente dafür angeführt habe und eine Familienkonstellation mit zwei Vätern das Kind überfordern könnte.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Antragstellers Folge und hob die Entscheidungen der Vorinstanzen zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung in erster Instanz auf. Zum Kontaktrecht des (angeblich) biologischen Vaters nach § 188 Abs 2 ABGB idF KindNamRÄG 2013 wurde erstmals Folgendes klargestellt:
Angesichts der Judikatur des EGMR (nach der uU bereits die Absicht, ein Familienleben zu führen, den Anwendungsbereich von Art 8 MRK eröffnen kann) ist unter einem besonderen familiären Verhältnis iSd § 188 Abs 2 Satz 1 ABGB nicht bloß das Bestehen der biologischen Vaterschaft allein zu verstehen, sondern es bedarf weiterer, dort genannter faktischer Elemente. Eine schlüssige Behauptung dieses qualifizierten Verhältnisses zum Kind erfordert daher auch die Darstellung solcher weiterer Umstände. Wenn der Antragsteller sein bestehendes oder früher bestandenes qualifiziertes Verhältnis zum Kind als doppelrelevante Tatsache schlüssig behauptet, sind diese Behauptungen auch dann bei der Prüfung der Antragslegitimation zu unterstellen, wenn sie von der Gegenseite bestritten wird.
Die Frage, ob der Kontakt dem Kindeswohl dient, ist aufgrund einer Beurteilung des konkreten Einzelfalls nur dann zu bejahen, wenn die vom Kontakt mit dem biologischen Vater zu erwartenden Vorteile für das Kind die zu erwartenden Nachteile eindeutig überwiegen. Soll das Kontaktrecht dem Art 8 EMRK mit dem ihm vom EGMR beigegebenen Gehalt gerecht werden, darf der leibliche Vater nicht generell als Störer der rechtlichen Familie angesehen und damit praktisch eine Vermutung gegen die „Kindeswohldienlichkeit“ etabliert werden.
Eine inzidente Vaterschaftsfeststellung im Kontaktrechtsverfahren des angeblich leiblichen Vaters nach § 188 Abs 2 Satz 1 ABGB ist zulässig.
Eine analoge Anwendung der Bestimmung des § 85 AußStrG scheidet jedoch aus, weil in § 188 Abs 2 ABGB nicht festgelegt wurde, dass die Abstammungsklärung erst dann erfolgen dürfte, wenn sichergestellt ist, dass die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Es steht grundsätzlich im Ermessen des Gerichts, ob es im Einzelfall zunächst die biologische Vaterschaft oder das Kindeswohl prüft. Bei der Ausübung dieses Ermessens sind sowohl das Kindeswohl als auch der Schutz des Familienlebens der bestehenden (rechtlichen) Familie nach Art 8 Abs 1 EMRK zu berücksichtigen.