Kündigungsschutz wegen COVID-19-Kurzarbeit bei einer „Sozialpartnervereinbarung – Einzelvereinbarung“?
Wird eine Arbeitnehmerin trotz des Satzes „Arbeitgeberkündigungen dürfen frühestens nach Ablauf der Behaltefrist ausgesprochen werden.“ in der Sozialpartnervereinbarung gekündigt, so bewirkt dies auch im Falle einer „Sozialpartnervereinbarung – Einzelvereinbarung“ nicht die Unwirksamkeit der Kündigung – Weiterentwicklung der zu 8 ObA 48/21y begonnenen Rechtsprechung.
Zur Lösung von Beschäftigungsproblemen durch die COVID‑Maßnahmen bestand bei der Beklagten eine „Sozialpartnervereinbarung – Einzelvereinbarung“ über Begleitmaßnahmen während der Kurzarbeit, abgeschlossen zwischen den Körperschaften der Arbeitgeber und Arbeitnehmer und der Beklagten sowie sämtlichen ihrer Arbeitnehmer, darunter die Klägerin. Die Vereinbarung enthielt den Satz „Arbeitgeberkündigungen dürfen frühestens nach Ablauf der Behaltefrist ausgesprochen werden.“
Die Klägerin befand sich von 1. 4. bis 30. 9. 2020 in Kurzarbeit. Mit Schreiben vom 18. 9. 2020 wurde sie gekündigt. Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage die Zahlung einer Kündigungsentschädigung. Sie nahm den Standpunkt ein, die Vereinbarung bewirke ein Kündigungsverbot, gegen das die Beklagte verstoßen habe und dessentwegen die Kündigung unwirksam gewesen sei.
Der Oberste Gerichtshof bestätigte das die Klage abweisende Urteil der Vorinstanzen. Er knüpfte an die Ausführungen in der Entscheidung 8 ObA 48/21y – kein individueller Kündigungsschutz, sondern Berücksichtigung im Rahmen des allgemeinen Kündigungsschutzes (§ 105 ArbVG) – an und führte ergänzend unter anderem aus:
Entgegen der Ansicht der Klägerin ergibt sich aus dem Umstand, dass sie die Vereinbarung mitunterfertigt hat und diese für die Konstellation des Fehlens eines Ausnahmefalls anordnet, dass Arbeitgeberkündigungen frühestens nach Ablauf der Behaltefrist ausgesprochen werden dürfen, nicht die Unwirksamkeit einer dennoch ausgesprochenen Kündigung.
Auszugehen ist jedenfalls vom Wortlaut der Vereinbarung. Dieser statuiert, dass Arbeitgeberkündigungen frühestens nach Ablauf der Behaltefrist ausgesprochen werden dürfen, nennt aber keine Rechtsfolge für den Fall eines Verstoßes gegen diese Vorgabe. Aus dem Wortlaut der Vereinbarung lässt sich die Unwirksamkeit einer dennoch ausgesprochenen Kündigung daher nicht ableiten.
Dass mit einer Formulierung wie der hier vorliegenden eine solche individuelle Sanktion gerade nicht ausdrücklich ausgesprochen werde und es daher unklar sei, ob mit einer solchen Formulierung ein Schutz des individuellen Arbeitsverhältnisses verbunden ist, wurde bereits lange vor der Corona‑Pandemie in der Literatur angemerkt. Dabei wurde auch darauf aufmerksam gemacht, dass die seinerzeit von der Gewerkschaft erarbeitete Muster‑Betriebsvereinbarung explizit die Rechtsunwirksamkeit einer vereinbarungswidrig ausgesprochenen Kündigung vorsieht. Sollte ein solcher individueller Schutz durch den auch durch die Gewerkschaft erfolgten Abschluss der hier vorliegenden Vereinbarung intendiert gewesen sein, wäre angesichts dessen eine ebensolche explizite Formulierung zu erwarten gewesen.
Gegen die Annahme eines vereinbarten individuellen Kündigungsschutzes spricht weiters, dass die Formulierung „dürfen frühestens gekündigt werden“ sprachlich als Handlungsanleitung für Arbeitgeber formuliert ist.
Gleiches gilt für den – bereits in 8 ObA 48/21y erörterten – volkswirtschaftlichen Schutzzweck der Subventionierung von Kurzarbeit. Die vorliegende Vereinbarung dient – zumindest in erster Linie – bloß dessen Effektuierung.
Gegen die Annahme einer individuellen Unwirksamkeit einer Kündigung bei einem Verstoß gegen den ersten Satz von Punkt IV.2.c der vorliegenden Vereinbarung spricht nicht zuletzt, dass die sonstigen Reglungen dieses Punktes nur die Frage betreffen, wann eine Auffüllpflicht besteht, somit eine Thematik, die für den einzelnen Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis ein Ende fand, ohne Bedeutung ist.