Lauterkeitsrechtliche Beurteilung von Geschäftspraktiken am Flüssiggasmarkt
Bringt ein Gaslieferant gegen den Willen seiner Kunden an seinen (an die Kunden vermieteten) Tanks Schlösser an, um eine Fremdbefüllung durch Konkurrenten zu verhindern, wird dadurch nicht der Tatbestand der aggressiven Geschäftspraktik erfüllt.
Die beklagte Partei vertreibt Flüssiggas an Privat-, Gewerbe- und Industriekunden in Österreich. Sie hat über 10.000 Kunden. Sie stellt vielen ihrer Kunden einen stationären Tank zur Verfügung, der im Rahmen eines Mietverhältnisses von diesen zur Lagerung von Flüssiggas genützt werden kann, wobei die Nutzungsdauer an die Dauer der Liefervereinbarung verknüpft ist. Um zu verhindern, dass die Kunden der beklagten Partei die Tanks mit Flüssiggas dritter Anbieter befüllen lassen, suchte ein Mitarbeiter 2014 mehrere Kunden auf, um am jeweiligen Tank ein Füllschloss zu setzen, wenn dieser mit Gas von Konkurrenten befüllt war. Der Mitarbeiter kam der ausdrücklichen Aufforderung einer Kundin, das Schloss wieder zu entfernen, nicht nach.
Die klagende Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte stellte ein Unterlassungsbegehren und brachte im Wesentlichen vor, dass die beklagte Partei durch das konsenslose Anbringen von Schlössern (bzw den entsprechenden Versuch) die Kunden in deren ruhigen Besitz gestört habe (bzw dies versucht) habe. Zusätzlich sei das Verhalten der beklagten Partei auch als aggressive Geschäftspraktik nach § 1a UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) zu qualifizieren. Aufgrund eines früheren Urteils sei es der beklagten Partei untersagt, sich auf eine Alleinbezugsverpflichtung zu berufen.
Die beklagte Partei wandte ein, dass sie sich nicht auf eine Alleinbezugsverpflichtung, sondern vielmehr auf ihr Eigentum an den Miettanks stütze. Eine Fremdbefüllung von Miettanks ohne Zustimmung des Tankeigentümers stelle einen rechtswidrigen Eingriff in das Eigentumsrecht des jeweiligen Tankeigentümers dar.
Der Oberste Gerichtshof verneinte einen lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsanspruch.
Die klagende Partei kann ihr Unterlassungsbegehren nicht darauf stützen, dass die beklagte Partei den ruhigen Besitz von ihren Kunden stört. Ein Eingriff in Ausschließlichkeitsrechte, der keine amtswegige Ahndung nach sich zieht und keine schützenswerten Belange der Allgemeinheit betrifft, kann grundsätzlich nicht als unlautere Geschäftspraktik geltend gemacht werden.
Ob eine aggressive Geschäftspraktik vorliegt, hängt entscheidend davon ab, ob die Kunden nach den Vereinbarungen mit der beklagten Partei das Recht haben, die Miettanks mit Fremdgas zu befüllen. Derartiges kann für die Gesamtheit aller Kunden, auf die das Unterlassungsbegehren abstellt, nicht festgestellt werden, weshalb zu Lasten der behauptungs- und beweispflichtigen klagenden Partei davon auszugehen ist, dass die Kunden der beklagten Partei bei einem Miettank ein Fremdbefüllungsverbot zu beachten haben. Die beanstandete geschäftliche Handlung erfüllt nicht § 1a UWG, weil sie nicht geeignet ist, die Rationalität der Entscheidung der Verbraucher vollständig in den Hintergrund treten zu lassen. Die hier vorzunehmende Interessenabwägung schlägt unter anderem wegen der mit Fremdbetankungen verbundenen Sicherheitsrisiken zugunsten der beklagten Partei aus.