Neues zur Produkthaftung für Arzneimittel und Medizinprodukte
Haftung für einen codeinhaltigen Hustensaft und ein Beatmungsgerät gegen Schlafapnoe
Im Verfahren zu 4 Ob 109/24v hatte der Kläger ein Beatmungsgerät gegen Schlafapnoe erworben, das von der Beklagten in den EWR importiert worden war. Nach mehrjähriger Nutzung erhielt er eine Sicherheitsmitteilung der Herstellerin, in der sie auf mögliche Probleme mit dem Schaumstoff in ihren Beatmungsgeräten hinwies, der sich zersetzen oder Chemikalien freisetzen und dadurch zu Gesundheitsschädigungen führen könne. Nach den Feststellungen des Erstgerichts war dieser Schaumstoff auch im Gerät des Klägers enthalten. Der Gesundheitszustand des Klägers hatte sich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zwar nicht verschlechtert, aus der Nutzung des Geräts resultierende Spätfolgen konnten aber auch nicht ausgeschlossen werden.
Der Oberste Gerichtshof bestätigte die Entscheidung der Vorinstanzen, die die auf Zahlung eines Schmerzengelds gerichtete Klage abwiesen, aber die Haftung der Beklagten für künftige Schäden feststellten. Für die Produkthaftung sei auf eine Fehlerhaftigkeit iSd § 5 PHG abzustellen (hier im Sinne eines Konstruktions- oder Produktionsfehlers) und entscheidend, ob das Produkt ein nicht zu erwartendes Sicherheitsdefizit aufweise, und nicht, ob bereits ein (Teil-)Schaden eingetreten sei. Wenn in einem Beatmungsgerät, das über lange Zeit jede Nacht für viele Stunden verwendet werden solle, ein potentiell gesundheitsschädliches Material enthalten sei, genüge das Produkt nicht den berechtigten Sicherheisterwartungen eines durchschnittlichen Anwenders iSd PHG. Für die Feststellung der Haftung reiche es zudem aus, dass künftige Schäden nicht ausgeschlossen werden könnten. Sollte es tatsächlich zu einer späteren Beeinträchtigung kommen, wäre es sodann Sache des Klägers, in einem Leistungsprozess seinen konkreten Schaden und die Kausalität mit dem fehlerhaften Produkt nachzuweisen. (Immaterieller) Schadenersatz bzw Schmerzengeld für bloße Beeinträchtigungen des seelischen Wohlbefindens, die nicht als schwerwiegende Eingriffe in die psychische Sphäre qualifiziert werden könnten, keinen eigenständigen Krankheitswert hätten und auch nicht aus einer Körperverletzung resultieren würden, wie das hier festgestellte Unbehagen des Klägers nach Erhalt der Sicherheitsmitteilung, könnte jedoch nicht verlangt werden.
In dem zu 4 Ob 19/24h entschiedenen Fall ging es um den tragischen Tod eines vierjährigen Mädchens nach der Gabe eines codeinhaltigen Hustensafts im Jahr 2015, der damals zwar rezept- und apothekenpflichtig, aber bereits für Kinder ab drei Jahren zugelassenen war. Auch hier bestätigte der Oberste Gerichtshof Ansprüche der hinterbliebenen Familienangehörigen gegen die (Anscheins )Herstellerinnen nach dem PHG für einen Instruktionsfehler, weil der Hustensaft nach den Verfahrensergebnissen mitursächlich für den Tod war und bei entsprechenden Gefahrenhinweisen in der Gebrauchsanweisung („Beipackzettel“) nicht verabreicht worden wäre. Er setzte sich dabei ua umfassend mit dem Verhältnis der Warnpflichten nach dem Produkthaftungsrecht und den arzneimittelrechtlichen Vorschriften auseinander und bejahte eine Haftung trotz der Zulassung sowohl des Hustensafts als auch der Fach- und Gebrauchsinformation nach dem AMG. Auch den Einwand, dass die Warnpflicht bei einem Medikamentenmissbrauch entfalle, verwarf der Oberste Gerichtshof im konkreten Fall. In einer Gebrauchsinformation könne und müsse ebenso vor einem vorhersehbaren Fehlgebrauch gewarnt werden. Je weniger die Gefährlichkeit eines Arzneimittels ersichtlich sei, desto eher müsse aber mit einer Überdosierung durch den Anwender gerechnet werden.
Link zum Volltext im RIS zu 4 Ob 19/24h
Link zum Volltext im RIS zu 4 Ob 109/24v