Ohne geschehene Verletzung einer nichtigkeitsbewehrten Norm kein Verfahrensmangel nach § 281 Abs 1 Z 3 StPO
Zur Beurteilungsgrundlage in tatsächlicher Hinsicht und zur Einholung tatsächlicher Aufklärungen in Bezug auf behauptete Rechtsfehler.
In seiner gegen das Urteil eines Schöffengerichts erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde reklamierte ein Angeklagter aus § 281 Abs 1 Z 3 StPO eine Verletzung des § 159 Abs 3 StPO, weil in der Hauptverhandlung eine Person als Zeugin vernommen worden sei, ohne über ihre Befreiung von der Pflicht zur Aussage belehrt worden zu sein (§ 156 Abs 1 Z 1 StPO iVm § 248 Abs 1 StPO).
Nach der Aktenlage hatte diese Person eingangs ihrer zeugenschaftlichen Vernehmung in der Hauptverhandlung am 12. Juli 2021 angegeben, mit dem Bruder des Angeklagten verheiratet und mangels bislang eingetretener Rechtskraft des bereits ergangenen Scheidungsurteils – ihres Wissens – (noch) nicht geschieden zu sein.
Zur Beurteilung der insoweit entscheidenden Sachverhaltsgrundlage im Zeitpunkt der Vernehmung dieser Zeugin holte der Oberste Gerichtshof hinsichtlich des in Rede stehenden Scheidungsverfahrens das Verhandlungsprotokoll, eine Urteilsausfertigung sowie die diesbezüglichen Zustellnachweise ein. Sämtliche Urkunden wurden der Verteidigung zur allfälligen Äußerung zugestellt, die in ihrer Stellungnahme das diesbezügliche Beschwerdevorbringen aufrecht hielt. Die tatsächlichen Aufklärungen über die behauptete Formverletzung ergaben, dass die mündliche Verhandlung bereits stattgefunden hatte, das Urteil schriftlich ergangen, den Parteien zugestellt worden und mit Ablauf des 29. Juni 2021 unbekämpft in Rechtskraft erwachsen war. Damit hatte das Angehörigenverhältnis der Schwägerschaft (§ 72 Abs 1 StGB) zwischen dem Angeklagten und der betreffenden Zeugin im Zeitpunkt deren Vernehmung nicht mehr bestanden. Demzufolge war auch der Aussagebefreiungsgrund des § 156 Abs 1 Z 1 StPO nicht gegeben.
Zwar trifft es zu, dass schon diesbezügliche Zweifel für die Annahme eines Befreiungsgrundes streiten. Die Beurteilung der insoweit entscheidenden Sachverhaltsgrundlage (bezogen auf den Aussagezeitpunkt) kommt aber dem Rechtsmittelgericht zu. Erachtet dieses – wie hier – den Befreiungsgrund in tatsächlicher Hinsicht als nicht gegeben, stellt sich die Frage nach einem auf einen solchen bezogenen Verfahrensfehler gar nicht. In diesem Sinn betont auch die Judikatur, dass das objektive Vorliegen eines Sachverhalts, der einer Nichtigkeit begründenden Vorschrift subsumierbar ist, nicht genügt, sondern zur Verwirklichung eines Verfahrensmangels – darüber hinaus – eine prozessrechtliche Pflichtverletzung ([hier] der Vorsitzenden) vorliegen muss. Nichtigkeitsbegründend ist in diesem Zusammenhang also nur eine durch mangelnde Beobachtung der in Rede stehenden Pflicht geschehene Verletzung einer nichtigkeitsbewehrten Norm.