Rückführung eines widerrechtlich nach Österreich gebrachten Kindes nach Italien
Keine Befugnis der österreichischen Gerichte zur Prüfung des Kindeswohls.
Wird ein Kind von einem Elternteil in einen anderen Staat gebracht und dadurch das Sorgerecht des anderen Elternteils verletzt, so ist das Kind nach dem „Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung“ (HKÜ) in den früheren Aufenthaltsstaat zurückzubringen, damit dort über das Sorgerecht entschieden werden kann. Diese Rückführung haben nach dem HKÜ die Gerichte des neuen Aufenthaltsstaates anzuordnen. Sie können sie nach Artikel 13 HKÜ verweigern, wenn die Rückführung mit der schwerwiegenden Gefahr eines seelischen oder körperlichen Schadens für das Kind verbunden wäre oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage brächte. Mit einer solchen Weigerung ist das Verfahren nach dem HKÜ zu Ende, das Kind bleibt im neuen Aufenthaltsstaat. Ist der frühere Aufenthaltsstaat aber ein Mitgliedstaat der Europäischen Union, so können dessen Gerichte aufgrund einer Verordnung der Europäischen Union („Brüssel IIa-Verordnung“) trotzdem die Rückkehr des Kindes anordnen. An eine solche Anordnung ist der neue Aufenthaltsstaat trotz seiner früheren Weigerung gebunden.
Im vorliegenden Fall war die österreichische Mutter mit ihrer einjährigen Tochter nach Beendigung einer Lebensgemeinschaft in Italien nach Österreich zurückgekehrt. Die österreichischen Gerichte verweigerten nach dem HKÜ die Rückführung, und zwar zuletzt deswegen, weil das für die Sorgerechtsentscheidung zuständige italienische Gericht der Mutter erlaubt hatte, das Kind vorläufig in Österreich zu behalten. Später ordnete das italienische Gericht aber nach der Brüssel IIa-Verordnung die Rückführung des nun knapp dreijährigen Kindes an, weil sich die Mutter nicht an die Anordnungen des Gerichts über Besuchskontakte mit dem Vater gehalten habe. Wenn die Mutter das Kind nach Italien begleite, sei das Kind weiter bei ihr unterzubringen, sonst beim Vater. Der Sozialdienst der italienischen Wohnsitzgemeinde erhielt den Auftrag, eine Wohnversorgung für Mutter und Kind bereitzustellen.
Aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des Obersten Gerichtshofs stellte der Europäische Gerichtshof nach einem nur zwei Monate dauernden Eilverfahren mit Urteil vom 1. Juli 2010 klar, dass die österreichischen Gerichte nicht befugt sind, die Vollstreckung dieser Entscheidung zu verweigern oder auch nur bis zur Erledigung von Rechtsmitteln oder Anträgen in Italien aufzuschieben; einen solchen Aufschub könnte nur das italienische Gericht gewähren.
Der Oberste Gerichtshof war an diese Entscheidung gebunden und gab daher mit Beschluss vom 13. Juli 2010 dem Rechtsmittel der Mutter gegen die vom Landesgericht Leoben angeordnete Vollstreckung nicht Folge. Dabei hielt er aber fest, dass zunächst der Vater das Vorhandensein der vom italienischen Gericht angeordneten Wohnversorgung für Mutter und Kind nachzuweisen habe. Danach wird der Mutter eine Frist von zwei Wochen zu setzen sein, in der sie mit dem Kind nach Italien zurückkehren kann. Nur wenn sie das unterlässt, wird ihr das Kind abzunehmen und dem Vater zu übergeben sein. Aber auch nach Ablauf der Frist kann die Mutter die Kindesabnahme durch eine freiwillige Rückkehr nach Italien abwenden.
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