Streu- und Räumpflicht bei überbreitem Gehsteig
Den Liegenschaftseigentümer trifft nach § 93 Abs 1 StVO eine Räum- und Streupflicht für den Gehsteig (Gehweg) in seiner gesamten Breite auch dann, wenn dieser mehr als drei Meter breit ist. Voraussetzung ist allerdings, dass die (straßenabgewandte) Gehsteigbegrenzung nicht mehr als drei Meter von der Liegenschaftsgrenze entfernt ist.
Im Jänner 2020 stürzte die Klägerin als Fußgängerin im „weitläufigen, annähernd kreisrunden Areal“ eines an die Liegenschaft des Beklagten angrenzenden Gehsteigs. Der Gehsteig war im Sturzbereich bis zu 18 Meter breit; das „weitläufige Areal“ befindet sich im Kreuzungsbereich zweier Straßen und grenzt unmittelbar an zwei Schutzwege und eine Bushaltestelle an.
Die Klägerin begehrte Schadenersatz, weil der Beklagte seine Pflichten als Liegenschaftseigentümer nach § 93 StVO verletzt habe.
Der Beklagte wendete ein, dass ihn eine Räum- und Streupflicht am Gehsteig nur in einer Breite von maximal drei Metern treffen könne und die Klägerin mehr als drei Meter von seiner Liegenschaft entfernt gestürzt sei.
Das Erstgericht konnte nicht feststellen, ob sich der Sturz innerhalb einer Entfernung von drei Metern zur Grenze der Liegenschaft des Beklagten ereignete und wies das Klagebegehren aus diesem Grund ab. Das Berufungsgericht bejahte hingegen eine Räum- und Streupflicht des Beklagten für den gesamten Gehsteigbereich und hob das Urteil des Erstgericht daher auf.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Beklagten nicht Folge und bestätigte die Rechtsansicht des Berufungsgerichts.
Der Oberste Gerichtshof führte aus, dass nach § 93 Abs 1 StVO die Eigentümer von Liegenschaften dafür zu sorgen haben, dass die „entlang der Liegenschaft in einer Entfernung von nicht mehr als 3 m vorhandenen“ Gehsteige von 6 bis 22 Uhr geräumt und gestreut werden. Die im Gesetz genannte Grenze von drei Metern beziehe sich auf die Entfernung zwischen der Grenze der Liegenschaft und der (straßenabgewandten) Gehsteigbegrenzung, nicht aber auf die Breite des Gehsteigs. Es wäre der Sicherheit des Fußgängerverkehrs abträglich, wollte man die Streupflicht innerhalb einer Gehsteigfläche aufteilen. Die gegenteilige Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofs sei mit dem Wortlaut der Bestimmung und deren Zweck nicht in Einklang zu bringen.
Da sich der Unfall in Wien ereignet habe, sei außerdem die Verordnung des Magistrats der Stadt Wien, ABl 2012/12, zu beachten, die eine teilweise Einschränkung der Räum- und Streupflicht anordne. Im Anlassfall habe es aber nach § 1 Abs 2 der Verordnung zu keiner Einschränkung der Räum- und Streupflicht zu kommen, weil die Sturzstelle in einem Kreuzungsbereich, auf Höhe von Schutzwegen und in unmittelbarer Nähe zu einer Bushaltestelle liege.