Verletzung der Verteidigungsrechte durch überraschende Änderung der Beteiligungsform
Die Staatsanwaltschaft hatte den Angeklagten Diebstähle in Form unmittelbarer Täterschaft angelastet (Wegnehmen von Gegenständen aus einem Großmarkt). Das Erstgericht gelangte abweichend davon zur Überzeugung, dass die Angeklagten manche Zugriffe nicht selbst durchgeführt, sondern für die betreffenden Gegenstände „Bestellungen“ bei anderen Tätern aufgegeben hatten. Eine Information über die in Aussicht genommene Änderung der Beteiligungsform hatte das Erstgericht unterlassen.
Der Angeklagte bekämpfte das Ersturteil unter anderem wegen der für ihn überraschend vorgenommenen Subsumtion (§ 281 Abs 1 Z 8 StPO). Das Oberlandesgericht gab der Berufung nicht Folge.
Der Oberste Gerichtshof stellte auf Grund einer von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes fest, dass der Angeklagte in seinem Recht auf Information über die in Aussicht genommene Änderung der Beteiligungsform verletzt worden war. Zu dieser Nichtigkeitsbeschwerde war die Generalprokuratur durch einen Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens veranlasst worden.
Das Höchstgericht betonte, dass der Schutzzweck des Art 6 Abs 3 lit a und lit b MRK gerade darin liegt, die Verteidigung des Angeklagten zu gewährleisten. Dem war vom Erstgericht nicht entsprochen worden.
Das Oberlandesgericht hätte, wie der Oberste Gerichtshof weiter ausführte, der Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit Folge geben müssen. Mangels Überdeckung der im Strafantrag inkriminierten und der im Urteil festgestellten Tathandlungen lag die Plausibilität einer (möglichen) anderen Verteidigungsstrategie für das Rechtsmittelgericht auch ohne näheres Vorbringen dazu auf der Hand.
Der Oberste Gerichtshof hob die Urteile des Erstgerichts und des Oberlandesgerichts im betreffenden Umfang auf und ordnete neue Verhandlung und Entscheidung an.