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Verstärkter Senat zu „wrongful birth“ und „wrongful conception“

 
 

1. Sowohl bei einem medizinischen Eingriff, der die Empfängnisverhütung bezweckt (zB Vasektomie oder Eileiterunterbindung), als auch bei der Pränataldiagnostik sind die finanziellen Interessen der Mutter (der Eltern) an der Verhinderung der Empfängnis bzw – bei Vorliegen der embryopathischen Indikation – der Geburt eines (weiteren) Kindes vom Schutzzweck des ärztlichen Behandlungsvertrags umfasst.
2. Wäre das Kind bei fachgerechtem Vorgehen bzw ordnungsgemäßer Aufklärung der Mutter (der Eltern) nicht empfangen bzw nicht geboren worden, haftet der Arzt (unabhängig von einer allfälligen Behinderung des Kindes) insbesondere für den von den Eltern für das Kind zu tragenden Unterhaltsaufwand.

Die Tochter der Kläger wurde mit einer schweren körperlichen Behinderung geboren, die der beklagte Pränataldiagnostiker bei gehöriger Aufmerksamkeit bereits beim Erst-Trimester-Ultraschallscreening erkennen hätte können. Hätte er lege artis gehandelt und die Kläger über die Behinderung des ungeborenen Kindes informiert, hätten sie sich für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden.

Die Kläger begehren vom Beklagten den Ersatz der ihnen aus der Geburt des Kindes (der unterbliebenen Abtreibung) entstandenen Schäden, insbesondere des gesamten Unterhaltsaufwands für das Kind, sowie die Feststellung seiner Haftung für alle künftigen Schäden.

Der Beklagte wendete insbesondere ein, er hafte, wenn überhaupt, höchstens für den behinderungsbedingten Unterhaltsmehrbedarf.

Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren im Wesentlichen, insbesondere im Umfang des Unterhaltsschadens, statt.

Die bisherige Rechtsprechung zum Ersatz (insbesondere) des Unterhaltsschadens war insofern uneinheitlich, als sie zwischen Fällen der unerwünschten Empfängnis („wrongful conception“) eines gesunden und der unerwünschten Geburt („wrongful birth“) eines behinderten Kindes differenzierte. Daher erfolgte die Entscheidung des OGH in einem verstärkten Senat (§ 8 OGHG).

Der verstärkte Senat ging von der bisherigen Judikatur ab, wonach es sich bei „wrongful birth“ und „wrongful conception“ um zwei nicht vergleichbare Fallgruppen handle, und legte dar, dass aus schadenersatzrechtlicher Sicht beide Sachverhalte im Ansatz notwendigerweise gleich zu beurteilen sind, weil bei fehlerfreiem Vorgehen des Arztes (und zusätzlich im Fall von „wrongful birth“ einem von der Mutter bzw den Eltern gewünschten Schwangerschaftsabbruch) jeweils die Geburt des Kindes unterblieben wäre.

Darüber hinaus hielt er ausdrücklich an der bisherigen Rechtsprechung fest, dass den Eltern, die sich angesichts der schweren Behinderung des Kindes bei gehöriger Aufklärung durch den Arzt für einen (rechtmäßigen) Schwangerschaftsabbruch entschieden hätten, insbesondere der gesamte Unterhaltsaufwand, also nicht bloß der behinderungsbedingte Mehrbedarf, zu ersetzen ist.

Link zum Volltext im RIS

 
ogh.gv.at | 30.12.2024, 16:12
(https://www.ogh.gv.at/entscheidungen/entscheidungen-ogh/verstaerkter-senat-zu-wrongful-birth-und-wrongful-conception/)

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