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Vorzeitige Auflösung eines zahnärztlichen Behandlungsvertrags

 
 

Der mit der (zahnärztlichen) Behandlung verbundene Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten lässt die Fortsetzung des (naturgemäß eine ganz besondere Vertrauensbasis erfordernden) Behandlungsvertrags bei einem (wie hier) potentiell lebensbedrohlichen Kunst- und Aufklärungsfehler des Arztes jedenfalls unzumutbar erscheinen.

Die Beklagte beabsichtigte, vom klagenden Zahnarzt ihr Gebiss sanieren zu lassen. Der Kläger setzte bei der Beklagten –  medizinisch richtig und lege artis – sechs Implantate im Unterkiefer, extrahierte fünf Zähne im Oberkiefer, entfernte den Weisheitszahn im rechten Unterkiefer operativ und setzte im Oberkiefer anstelle der extrahierten Zähne eine Oberkiefer-Teilprothese mit Drahtklammern ein. Als schicksalshafte Folge der operativen Zahnentfernung entwickelte sich bei der Beklagten ein Mundbodenabszess. Bei einem Kontrolltermin fünf Tage später hatte die Beklagte eine Schwellung, Schmerzen und Schluckbeschwerden und konnte den Mund nicht öffnen. Da sie bereits seit fünf Tagen mit einem Antibiotikum therapiert wurde, hätte der Kläger ihr zu diesem Zeitpunkt trotz fehlenden Nachweises eines bereits vorhandenen Abszesses ein alternatives Antibiotikum verschreiben und sie eindringlich darauf hinweisen müssen, dass es aufgrund der Wirkungslosigkeit des Antibiotikums zu einer Verschlechterung ihres Zustands kommen könne und sie in diesem –  umgehend behandlungsbedürftigen  – Notfall sofort auf der Kieferchirurgie vorstellig werden müsse. In der Situation, in der sich die Beklagte befand, kann ein Abszess innerhalb von Stunden auftreten und zu einer Verschlechterung des Zustands mit Atembeschwerden bis hin zum Tod durch Ersticken führen. Da die Beklagte am folgenden Tag das Gefühl hatte, zu ersticken, begab sie sich über ihren Hausarzt in Behandlung ins Spital. Dort wurde der Mundbodenabszess diagnostiziert und operativ von außen gespalten. Die Beklagte brach daraufhin die Behandlung beim Kläger ab.

Der Kläger begehrte von der Beklagten, gestützt auf die Bestimmung des § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB, das vereinbarte Honorar für das (nicht erfolgte) Einsetzen der Kronen abzüglich einer Eigenersparnis.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren übereinstimmend ab.

Der Oberste Gerichtshof wies die Revision des Klägers zurück.

Die Lehre und Literatur bejaht die Möglichkeit der vorzeitigen Auflösung eines Behandlungsvertrags aus wichtigem Grund mit der Konsequenz, dass der Behandler keinen Entgeltanspruch für noch nicht erbrachte Leistungen hat. Dies entspricht dem sowohl für Ziel- als auch für Dauerschuldverhältnisse allgemeingültigen  Rechtsgrundsatz, dass ein wichtiger Grund, der die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses für einen der Vertragsteile unzumutbar erscheinen lässt, jederzeit zur sofortigen Vertragsaufhebung berechtigt. Als wichtiger Grund kommt auch der berechtigte Verlust des Vertrauens in die Person des Vertragspartners in Betracht.

Nach den Feststellungen ging der Kläger hier im Rahmen der Nachbehandlung insofern nicht lege artis vor, als er der Beklagten kein anderes Antibiotikum verschrieb und sie auch nicht darauf hinwies, dass sie im Falle einer weiteren Verschlechterung ihres Zustands sofort ins Spital müsse. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass dieses Verhalten geeignet ist, das Vertrauen eines Patienten in seinen Arzt zu erschüttern, sodass ein Behandlungsabbruch gerechtfertigt ist, ist jedenfalls nicht zu beanstanden. Es muss im konkreten Fall daher weder geklärt werden, ob das Auftreten einer schwerwiegenden Komplikation für sich allein bereits einen wichtigen Grund bildet, eine weitere Behandlung abzulehnen, noch stellt sich die Frage nach einem Entgeltanspruch des behandelnden Arztes für den Fall, dass der Patient die Behandlung ohne wichtigen Grund abbricht.

Zum Volltext im RIS.

 
ogh.gv.at | 15.11.2024, 12:11
(https://www.ogh.gv.at/entscheidungen/entscheidungen-ogh/vorzeitige-aufloesung-eines-zahnaerztlichen-behandlungsvertrags/)

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