Wirksamkeit einer Zustellung bei Anwendbarkeit der Europäischen Zustellungsverordnung
Beurteilung nach dem Recht des Prozessstaats.
Die Kläger begehren Schadenersatz gegen die beiden Beklagten wegen des Erwerbs nicht gewünschter Veranlagungen in Form von Zertifikaten. Die Zweitbeklagte ist eine juristische Person mit Sitz auf der Kanalinsel Jersey. In der Klage wird als Zustelladresse der Wohnsitz der Vorstandsvorsitzenden der Zweitbeklagten in den Niederlanden angegeben. Die Vorstandsvorsitzende verweigerte die Annahme der Klage und des Auftrags zur Erstattung der Klagebeantwortung, weil sie weder deutsch noch niederländisch verstehe.
Das Erstgericht erließ über Antrag der Kläger ein Versäumungsurteil. Das Berufungsgericht verwarf die von der Zweitbeklagten wegen Nichtigkeit erhobene Berufung, die auf die angeblich unwirksamen Zustellung der Klage wegen berechtigter Annahmeverweigerung gestützt wurde. Zudem wurde beurteilt, dass auch durch die Inanspruchnahme der inländischen Gerichtsbarkeit durch das Erstgericht keine Nichtigkeit begründet worden sei. Darüber hinaus gab das Berufungsgericht der Berufung der Zweitbeklagten nicht Folge.
Der Oberste Gerichtshof billigte diese Entscheidung. Aus Gründen der Klarstellung führte er zur Europäischen Zustellungsverordnung (EuZVO) erstmals Folgendes aus: Die Bestimmungen der EuZVO gelangten dann zur Anwendung, wenn (im sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung) ein (hier gerichtliches) Schriftstück von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat zu Zwecken der Zustellung zu übermitteln sei. Dies sei im Anlassfall zu bejahen, zumal ein gerichtliches Schriftstück vom Prozessstaat Österreich in den Niederlanden zugestellt worden sei. Sowohl Übermittlungsstaat als auch Empfangsstaat seien Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Die Vorschriften der EuZVO würden in das Verfahrens- und Zustellrecht des Prozessstaats (lex fori) grundsätzlich nicht eingreifen. Dementsprechend seien die Wirksamkeit der Zustellung, die Heilung von Zustellungsmängeln sowie die Berechtigung und Konsequenzen einer Annahmeverweigerung nach dem Rechts des Prozessstaats zu beurteilen. Der Hinweis in Art 7 Abs 1 EuZVO auf die primär einzuhaltende Ortsform betreffe nur die Art und Weise, wie das Schriftstück an den Empfänger zugestellt, diesem also zur Kenntnis gebracht werde. Damit solle für die Empfangsstelle klargestellt werden, dass sie bei Vornahme der Zustellung (außer bei einem gegenteiligen Antrag der Übermittlungsstelle) nach ihren eigenen Zustellungsvorschriften vorgehen solle. Nur der (technische) Zustellungsvorgang an sich richte sich nach dem Recht des Empfangsstaats. Dies ändere aber nichts daran, dass die Frage der Rechtmäßigkeit der Zustellung weiterhin nach dem Recht des Prozessstaats zu beurteilen sei. Aus diesem Grund sei mit der ZVR-Novelle 2004 in § 106 Abs 2 ZPO angeordnet worden, dass eine Zustellung durch die Behörden des Zustellungsstaats immer dann für die Rechtswirksamkeit genüge, wenn entweder die Vorschrift des Empfangsstaats oder jene des österreichischen Rechts eingehalten seien. Für die Rechtmäßigkeit einer Auslandszustellung sei demnach auch im österreichischen Zivilprozess (lex fori) grundsätzlich die Einhaltung der Ortsform ausreichend. Die Frage, auf welche Weise die Zustellung an eine Gesellschaft bzw juristische Person zu bewirken sei, richtet sich im Anlassfall somit nach österreichischem Zustellungsrecht. Nach § 13 Abs 3 ZustG sei das Dokument dann, wenn der Empfänger keine natürliche Person sei, einem zur Empfangnahme befugten Vertreter zuzustellen. Die (nach dem Personalstatut zu beurteilende) Vertretungs- und Übernahmebefugnis der Vorstandsvorsitzenden der Zweitbeklagten sei nicht bestritten worden.
Dem Sprachenregime des Art 8 EuZVO liege das international anerkannte Konzept zugrunde, dass der Empfänger jedenfalls eine Zustellung in der Amtssprache des Zustellungsorts (hier in den Niederlanden) akzeptieren müsse. Durch die Einhaltung der Vorschriften des Wohnsitzstaats sei der Empfänger nicht beschwert, müsse er sie doch auch für Zustellungen von Schriftstücken dieses Staats hinnehmen.