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Zur Haftung des Bundes für Versäumnisse des polizeilichen Staats- bzw Verfassungsschutzes im Zusammenhang mit der Terrorabwehr

 
 

Die Regelungen zur Abwehr konkreter Gefahren durch Maßnahmen der Sicherheitspolizei und zur Berichtserstattung nach § 100 Absatz 2 Strafprozessordnung dienen auch dem Schutz von Personen, die aufgrund der Verletzung dieser Pflichten einen Schaden an absolut geschützten Rechten und Rechtsgütern erlitten haben.

Am 2. 11. 2020 verübte ein Attentäter in der Wiener Innenstadt einen Terroranschlag, bei dem er vier Personen – darunter die Tochter der Klägerin – ermordete und mehrere Personen teils schwer verletzte.

Die Klägerin begehrt vom Bund aus dem Titel der Amtshaftung Schadenersatz, insbesondere Schmerzengeld. Den polizeilichen Staatsschutzbehörden BVT (Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung) und LVT (Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung) seien schuldhafte Versäumnisse anzulasten, die kausal für das Terrorattentat und damit für ihre Schäden geworden seien. Sie hätten trotz Kenntnis über die gesamte Fallhistorie des späteren Attentäters (Treffen mit bekannten Mitgliedern der radikal islamistischen Szene, versuchter Ankauf von Munition für ein Sturmgewehr) einen Bericht an die Staatsanwaltschaft unterlassen. Bei rechtzeitiger und richtiger Risikoeinschätzung und des gebotenen Berichts des LVT oder des BVT hätte die Staatsanwaltschaft die Festnahme und Verhängung der Untersuchungshaft über den späteren Attentäter beantragt oder andere Anordnungen getroffen, sodass das Terrorattentat nicht begangen worden wäre.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab, weil es am Rechtswidrigkeitszusammenhang fehle. Die Ermittlungspflicht der Behörden nach dem Polizeilichen Staatsschutzgesetz (PStSG) bezwecke nicht den Individualschutz von möglichen zukünftigen Opfern. Gleiches gelte grundsätzlich für die Regelungen des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG). Die Berichtspflicht der Polizei gegenüber der Staatsanwaltschaft nach § 100 Strafprozessordnung (StPO) habe nicht den Zweck, später eintretende Schäden künftiger Opfer zu verhindern.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin Folge und hob die Entscheidungen der Vorinstanzen zur Verfahrensergänzung auf.

Der Schutzzweck von § 6 Absatz 1 Ziffer 2 PStSG iVm § 22 Absatz 2 SPG liegt gerade auch in der Verhinderung von Schäden an den Individualrechtsgütern der im Staatsgebiet lebenden Menschen aufgrund eines terroristischen Angriffs durch eine Person. Geschützt sind jene Personen, die mit dem verfassungsgefährdenden Angriff durch eine bestimmte Person – den die Sicherheitsbehörden hätten verhindern sollen – in Berührung kommen. Voraussetzung des vorbeugenden Schutzes vor verfassungsgefährdenden Angriffen ist der begründete Verdacht, dass eine Person einen solchen begehen wird.

Auch die Berichtspflicht an die Staatsanwaltschaft nach § 100 Absatz 2 StPO intendiert – soweit sie die Verpflichtung der Sicherheitsbehörden zur Abwehr einer von einem konkreten Täter ausgehenden besonderen Gefahr bei Vorliegen der Haftgründe der Tatbegehungs- oder Tatausführungsgefahr komplettiert – die Verhinderung von Schäden an Individualrechtsgütern von potentiellen Opfern von Terrorattentaten durch eine bestimmte Person.

Schäden, die der Klägerin durch die Ermordung ihrer Tochter entstanden sind, stehen daher im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit einem (allfälligen) Versagen der Organe des Verfassungsschutzes, wenn der Terroranschlag bei deren pflichtgemäßem Handeln mit überwiegender Wahrscheinlichkeit verhindert worden wäre. Dazu – also zu Kausalität, Rechtswidrigkeit und Verschulden – werden die Vorinstanzen noch Feststellungen zu treffen haben.

Zum Volltext im RIS.

 
ogh.gv.at | 08.09.2024, 01:09
(https://www.ogh.gv.at/entscheidungen/entscheidungen-ogh/zur-haftung-des-bundes-fuer-versaeumnisse-des-polizeilichen-staats-bzw-verfassungsschutzes-im-zusammenhang-mit-der-terrorabwehr/)

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