Zum Hauptinhalt
 
 
 
 

Zur-Kenntnis-Nehmen einer Anzeige ist etwas anderes als Ermitteln aufgrund einer Anzeige

 
 

Ein Strafverfahren beginnt erst, sobald Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft zur Aufklärung des Verdachts einer Straftat gegen eine bekannte oder unbekannte Person ermitteln oder Zwang gegen eine verdächtige Person ausüben. 

Die Staatsanwaltschaft legte eine Anzeige gegen einen Bürgermeister wegen angeblichen Missbrauchs der Amtsgewalt ohne Erhebungen zurück. Davon wurde die Anzeigerin verständigt. Sie begehrte bei Gericht die Fortsetzung des Verfahrens, die auch verfügt wurde.

Die Generalprokuratur rügte die „Fortsetzung“ des Ermittlungsverfahrens als Gesetzesverletzung.

Der Oberste Gerichtshof stellte klar:

Ein Strafverfahren beginnt erst, sobald Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft zur Aufklärung des Verdachts einer Straftat gegen eine bekannte oder unbekannte Person ermitteln oder Zwang gegen eine verdächtige Person ausüben. Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft sind im Rahmen ihrer Aufgaben verpflichtet, jeden ihnen zur Kenntnis gelangten Verdacht einer Straftat „in einem Ermittlungsverfahren“ aufzuklären. Zur‑Kenntnis‑Gelangen des Verdachts einer Straftat durch eine Anzeige unterscheidet sich somit klar vom Ermitteln: Ersteres verpflichtet zu Letzterem. Ermitteln bedeutet also: Tätigwerden aufgrund eines zur Kenntnis gelangten Sachverhalts.

Demnach kann lediglich ein einmal in Gang gekommenes Ermittlungsverfahren eingestellt werden. A limine zurückgelegte Anzeigen oder sonst nicht zum Anlass für Ermittlungen genommene Sachverhalte lösen folglich keine Informations‑ und Verständigungspflichten aus und sind demzufolge kein Gegenstand einer Fortführung des Strafverfahrens.

Irrig (wie hier von der Staatsanwaltschaft) erteilte Belehrungen über die Zulässigkeit eines Antrags auf Fortführung eines – nicht geführten – Ermittlungsverfahrens ändern daran nichts, ebenso wenig die rechtsfehlerhafte Beurteilung des eigenen Vorgehens als Einstellung durch die Staatsanwaltschaft.

Die vom Gericht angeordnete Fortführung des Ermittlungsverfahrens verletzte somit das Gesetz in § 196 Abs 2 vierter Fall StPO.

Zum Volltext im RIS

 
ogh.gv.at | 15.11.2024, 12:11
(https://www.ogh.gv.at/entscheidungen/entscheidungen-ogh/zur-kenntnis-nehmen-einer-anzeige-ist-etwas-anderes-als-ermitteln-aufgrund-einer-anzeige/)

Oberster Gerichtshof  |  Schmerlingplatz 11 , A-1010 Wien  |  Telefon: +43 1 52152 0  |  Telefax: +43 1 52152 3710