Vorabentscheidungsersuchen zu „Dieselgate“
Der Kläger erwarb einen von der Beklagten hergestellten PKW, der mit einem Motor vom Typ EA 288 der Abgasklasse Euro 6 ausgestattet ist. In diesem Motor wird eine Mischung aus Luft und Kraftstoff verbrannt. Dabei entstehen aus der Reaktion von Stickstoff und Sauerstoff Stickoxide (NOx) sowie weitere Abgase. Um den Emissionsausstoß zu verringern, verfügt das Fahrzeug über ein System der Abgasrückführung (AGR-System) und ein System der aktiven Abgasnachbehandlung in Form einer selektiven katalytischen Reduktion (SCR-System). Beide Systeme (AGR und SCR) interagieren miteinander. Nach einem Motor-Kaltstart erfolgt die Emissionsreduktion zunächst durch Erhöhung der AGR-Rate. Sobald der SCR-Katalysator seine Betriebstemperatur erreicht hat, erfolgt die Reduktion (Entstickung) hauptsächlich über den SCR-Katalysator. Bei Betriebszuständen, bei denen dies nicht zur Gänze möglich ist, kommt es wieder zu einer Erhöhung der AGR-Rate.
Der Oberste Gerichtshof legte dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) folgende Fragen vor:
1. a) Sind Art 5 Abs 2 iVm Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG sowie Art 3 Durchführungs-VO 692/2008/EG dahin auszulegen, dass bei einem unter die VO 715/2007/EG fallenden Dieselfahrzeug, in dem Systeme der Abgasrückführung (AGR-System) und Abgasnachbehandlung (SCR-System) verbaut sind, für die Qualifikation als Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG darauf abzustellen ist, ob die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems in seiner Gesamtheit (unter Einschluss aller jeweils vorhandener Systeme der Abgasrückführung und -nachbehandlung) verringert wird, oder darauf abzustellen ist, ob die Wirksamkeit einzelner Konstruktionsteile (zB „Thermofenster“, SCR-Katalysator) als jeweils eigene Emissionskontrollsysteme verringert wird?
b) Sind Art 3 Nr 10, Art 5 Abs 1 und 2 VO 715/2007 dahin auszulegen, dass für die Qualifikation als unzulässige Abschalteinrichtung die Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter gewöhnlichen Fahrbedingungen – sei es eines einzelnen Konstruktionsteils, sei es der Gesamtheit des Systems (siehe Frage 1. a) – allein entscheidend ist, oder ist zusätzlich erforderlich, dass (zumindest) einer der in Anhang I der VO 715/2007/EG angeführten Emissionsgrenzwerte überschritten wird?
2. Für den Fall, dass auf das Emissionskontrollsystem in seiner Gesamtheit abzustellen ist:
a) Ist Art 5 Abs 2 iVm Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG in Bezug auf die Behauptungslast dahin auszulegen, dass der Erwerber eines Dieselfahrzeugs seiner Behauptungslast zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung entspricht, wenn er vorbringt, dass ein Konstruktionsteil (zB „Thermofenster“) vorliegt, das die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter gewöhnlichen Fahrbedingungen verringert, und trifft dann den Hersteller die Behauptungslast dafür, dass das Gesamtsystem insgesamt zu keiner Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems führt, oder muss der Käufer auch vorbringen, dass keine anderen Konstruktionsteile vorliegen, die den nachteiligen Effekt ausgleichen?
b) Ist Art 5 Abs 2 iVm Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG im Fall der Behauptungslast des Käufers für das Gesamtsystem und der daraus im nationalen Recht resultierenden Beweislast dahin auszulegen, dass selbst eine nationale Regelung, die den Hersteller in diesem Fall zur Mitwirkung an der Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet, nicht dem Unionsrecht, insbesondere dem Effektivitätsgrundsatz, entspricht, sodass deshalb insoweit unionsrechtlich der Hersteller die Beweislast zu tragen hat?
3. Sind Art 3 Nr 10, 4 Abs 2, Art 5 Abs 1 und Abs 2 VO 715/2007/EG (iVm Art 3 Durchführungs-VO 692/2008/EG) dahin auszulegen, dass die Bauteile eines Dieselfahrzeugs, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sein müssen, dass die Einhaltung der in Anhang I der VO 715/2007/EG angeführten Emissionsgrenzwerte nicht nur bei den vorgeschriebenen Tests im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens (hier: Neuer Europäischer Fahrzyklus-Test), sondern auch unter tatsächlichen Fahrbedingungen bei normaler Nutzung des Fahrzeugs (im Realbetrieb) gewährleistet ist?