Der Oberste Gerichtshof stellt in einem medienrechtlichen Verfahren, das Überlebende des Konzentrationslagers Mauthausen gegen die Zeitschrift „Aula“ angestrengt hatten, eine Gesetzesverletzung fest (OGH vom 11.6.2021, 15 Os 13/21g)
In einem im Februar 2016 veröffentlichten Artikel der Zeitschrift „Die Aula“ wurde über die Einstellung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen den Autor eines in der selben Zeitschrift im Jahr 2015 unter der Überschrift „Mauthausen – Befreite als Massenmörder“ erschienen Artikels durch die Staatsanwaltschaft Graz berichtet und dabei zum Teil der Inhalt des ursprünglichen Artikels wiederholt sowie die Einstellungsbegründung dieser Behörde teilweise referiert.
In dem wegen dieses Artikels von mehreren Überlebenden des Konzentrationslagers Mauthausen gegen die Aula Verlag GmbH eingeleiteten medienrechtlichen Verfahren wies das Landesgericht für Strafsachen Graz die Anträge auf Zuerkennung einer Entschädigung nach § 6 Abs 1 MedienG unter anderem mit der Begründung ab, dass die individuelle Erkennbarkeit der Antragsteller und damit deren Legitimation zur Antragstellung nicht gegeben sei. Im Mai 1945 seien rund 20.000 Personen aus diesem Konzentrationslager befreit worden; dieses Kollektiv sei zu groß, um jedem der damals Befreiten ein Recht zur Antragstellung nach § 6 Abs 1 MedienG zuzuerkennen. Das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit Urteil vom 21. Juli 2017.
Aufgrund dieser Urteile stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit Erkenntnis vom 10. Oktober 2019, Lewit gegen Österreich, Nr 4782/18, eine Verletzung des Antragstellers Aba Lewit in seinem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art 8 MRK fest. Die österreichischen Gerichte hätten verabsäumt, sich umfassend mit der Frage der Antragsberechtigung sowie mit jener des eigenständigen Bedeutungsinhalts der Aussagen in dem Artikel aus dem Jahr 2016 auseinanderzusetzen.
Nunmehr hat der Oberste Gerichtshof aufgrund einer von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes auch innerstaatlich festgestellt, dass die befassten Gerichte ihre gesetzliche Pflicht zur Begründung von Entscheidungen verletzt haben, indem sie die Betroffenheit der Antragsteller und damit deren Aktivlegitimation verneinten. Die Gerichte hätten sich mit den Fragen auseinandersetzen müssen, wie groß der Kreis der Überlebenden des Konzentrationslagers Mauthausen im Jahr 2016 tatsächlich war, und ob nicht nach der spezifischen Gestaltung des Artikels doch eine Identifikation des Autors des Artikels mit den diffamierenden Äußerungen gegeben war.
Eine Aufhebung der Urteile war auf Basis der geltenden Rechtslage nicht möglich, weil der belangten Medieninhaberin im Verfahren die Rechte einer Beschuldigten zukommen und zu ihrem Nachteil nicht in rechtskräftige Entscheidungen eingegriffen werden darf.