Pressegespräch des Obersten Gerichtshofs („30% Anfallsteigerung am OGH“)
Die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Irmgard Griss lud aus Anlass der sich – vor allem auch durch mehrere Großverfahren – zuspitzenden Lage am Obersten Gerichtshof zum Pressegespäch.
Die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Irmgard Griss lud aus Anlass der sich – vor allem auch durch mehrere Großverfahren – zuspitzenden Lage am Obersten Gerichtshof zum Pressegespäch am 11. Februar 2009, 9:30 Uhr, in der Cafeteria des Justizpalasts, 5. Obergeschoss.
Der Oberste Gerichtshof erlebt derzeit eine gewaltige Anfallsteigerung in Strafsachen: Von 2006 bis 2008 stieg der Anfall um rund 31 %, wobei gleichzeitig die Planstelle eines Strafrichters bzw einer Strafrichterin wegfiel. Diese Anfallsteigerung hat ihre Ursache nicht nur in der StPO-Reform, sondern auch im signifikanten Ansteigen der Grundrechtsbeschwerden um rund 28 % und in einem deutlich gestiegenen sich in vermehrter Anfechtung ausdrückenden Rechtschutzbedürfnis.
Das sogenannte Erneuerungsverfahren, mit dem der Oberste Gerichtshof Grundrechtsverletzungen in Verfahren der unteren Instanzen wahrnimmt, die sonst von den Parteien nicht an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden könnten, hat ebenfalls zu einem Mehranfall geführt.Auf Grund der mit dem Erneuerungsverfahren geschaffenen wirksamen innerstaatlichen Abhilfe im Sinn des Art 13 EMRK, ist es im vergangenen Jahr zu einem deutlichen Rückgang der Klagen gegen Österreich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg gekommen.
Die Belastungssituation erfährt noch dadurch eine Verschärfung, dass zahlreiche beim Obersten Gerichtshof angefallene Großverfahren die Arbeit von Referenten und Referentinnen monatelang blockieren. Eine Besserung der Situation ist nicht absehbar; vielmehr ist mit weiterer Anfallsteigerung zu rechnen.
Auch der Anfall von Rechtsmitteln in Zivilsachen stieg im Jahr 2008 – wenngleich nicht so signifikant wie in Strafsachen – an. Dem Obersten Gerichtshof stehen im Bereich der Entscheidungsvorbereitung für die mehr als 3000 Rechtsmittelentscheidungen pro Jahr sowie die Betreuung des allen Bürgern zugänglichen Rechtsinformationssystems (RIS) nur unzureichend wissenschaftliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zur Verfügung. Die personelle Ausstattung des Oberste Gerichtshofs liegt insoweit weit hinter dem Mindeststandard anderer europäischer Höchstgerichte. Dieser eklatante Mangel gefährdet nicht nur die international anerkannte hohe Qualität der Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs, sondern auch die Zuverlässigkeit des Rechtsinformationssystems.
Trotz der unzumutbaren Belastungssituation kommt der Oberste Gerichtshof bisher auch seinem Fortbildungsauftrag nach und veranstaltet mehrmals jährlich für die Richter und Richterinnen erster und zweiter Instanz Fachseminare, so etwa zur StPO-Reform.
Sollen Erledigungsdauer und Qualität nicht empfindliche Einbußen erleiden, sind für den Strafbereich zwei zusätzliche Referentenstellen und für den Zivilbereich wenigstens fünf zusätzliche wissenschaftliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen erforderlich.