VfGH hebt über Antrag des OGH Bestimmungen des Fortpflanzungsmedizingesetzes auf
Die gesetzliche Beschränkung artifizieller Insemination auf verschiedengeschlechtliche Lebensgemeinschaften und Ehen ist verfassungswidrig.
Antrag des Obersten Gerichtshofs
Der Oberste Gerichtshof stellte zu 3 Ob 224/12f gemäß Art 89 Abs 2 B-VG (Art 140 B-VG) an den Verfassungsgerichtshof betreffend das Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG) den Antrag, in § 2 in der Fassung BGBl I 2009/135 in Absatz 1 die Wortfolge „von Personen verschiedenen Geschlechts“, in § 2 in der Fassung BGBl I 2009/135 den Absatz 2 und in § 3 in der Stammfassung BGBl 1992/275 die Absätze 1 und 2 als verfassungswidrig aufzuheben, weil der Ausschluss von Frauen, die mit einer Frau in einer Partnerschaft leben, von einer medizinisch unterstützten Fortpflanzung und damit von der Möglichkeit, Kinder zu haben und aufzuziehen, sofern sie ohne die Errungenschaften der Fortpflanzungsmedizin keine Kinder haben könnten, gegen das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens (Art 8 EMRK) und gegen den Gleichheitssatz (Art 7 B-VG) verstoße.
Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs
Der Verfassungsgerichtshof teilt diese Rechtsmeinung und hob die genannten Bestimmungen mit Ablauf des 31. Dezember 2014 auf (Erkenntnis vom 10.12.2013, G 16/2013-16, G 44/2013-14).
Es müssten besonders überzeugende und schwerwiegende Gründe vorliegen, um eine am Geschlecht oder an der sexuellen Orientierung anknüpfende Differenzierung nicht als Diskriminierung und damit Verletzung des Art 14 MRK iVm einem einschlägigen Konventionsrecht zu erweisen. Die Zulässigkeit gesetzlich geregelter Beschränkungen der artifiziellen heterologen intrauterinen Insemination setze hier voraus, dass es sich um eine Maßnahme handle, die in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sei, dass also diese Beschränkungen einem zwingenden sozialen Bedürfnis entsprechen. Der Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers sei gegenüber Fragen der heterologen Samenspende bei In-vitro-Fertilisation und der Eizellspende geringer. Eine gesundheitliche Gefährdung der Frau durch Insemination werde von niemandem behauptet und sei auch nicht erkennbar. Das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner eigenen Abstammung werde durch § 20 Abs 2 FMedG gesichert. Die Gefahr des Missbrauchs in Form der Leihmutterschaft spiele keine Rolle; auch die Befürchtung, dass bei Verlassen des Konzepts der „Gebrechensorientiertheit“ die Zulassung von Leihmutterschaft unvermeidlich sei, sei unbegründet. Die gesetzliche Beschränkung könne nicht mit dem Schutz der Familie gerechtfertigt werden, da gleichgeschlechtliche Partnerschaften nicht in einem Substitutionsverhältnis zu Ehen und verschiedengeschlechtlichen Lebensgemeinschaften stünden, sondern zu diesen hinzutreten würden.
Der in den angefochtenen Bestimmungen liegende Eingriff in den Schutzbereich des Art 14 iVm Art 8 EMRK hinsichtlich des Kinderwunsches von Frauen, die in einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft leben, sei somit unverhältnismäßig, weil er im Ergebnis diese Personengruppe generell von der artifiziellen intrauterinen heterologen Insemination ausschließe.